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Kultur: Liebe ist möglich

Martenstein hat genug Problemfilme gesehen

Irgendwann kommt bei jeder Berlinale der Moment, an dem man beginnt, die Künstler zu hassen und die Handwerker zu lieben.

Schlechte Filmkritiker sind übrigens Filmkritiker, die einen Film lediglich darauf überprüfen, ob er mit ihrer eigenen Weltsicht übereinstimmt. Dies nur am Rande. Einmal pro Jahr muss ich das immer schreiben.

Vor Beginn der Pressevorführung von „Irina Palm“ kam ein Kollege zu mir und sagte, ich müsse mir unbedingt den Film „300“ anschauen. „300“ sei in Nazi-Ästhetik gedreht, ohne jede erkennbare Ironie, eins zu eins, das werde bestimmt ein Skandal. Der Kollege war begeistert. Wenn es optimal laufe, werde vielleicht sogar der israelische Botschafter gegen „300“ protestieren. Ich selbst finde Nazi-Ästhetik gut, mir gefallen Bands wie „Rammstein“, Bilder von Norbert Bisky oder der Flughafen Tempelhof. Wer Form und Inhalt nicht auseinanderhalten kann, ist eh doof.

Einen Skandal könnte die Berlinale zurzeit allerdings gut brauchen, denn es schleppt sich so ein bisschen dahin, von eindringlichem Problemfilm zu eindringlichem Problemfilm. In „The Walker“ von Paul Schrader, einem der wenigen Lichtblicke, sagt die Hauptfigur, ein schwuler Dandy, zu seinem Künstlerfreund: „Wenn einem beim Betrachten nichts gegen den Strich geht, ist es keine Kunst, oder?“ Er hat recht. Interessanterweise findet man aber das, was einem gefällt, fast immer mutig oder avantgardistisch, man gesteht sich ungern ein, dass man Mainstream ist. Die meisten Problemfilme sind aber alles andere als mutig, nichts einfacher, als die Leere der modernen Existenz, den Sexismus oder den Kapitalismus anzuprangern. Dann lief „Irina Palm“ los, mit Marianne Faithfull als „die wichsende Witwe“, eine Oma, die im Sexshop Männer am Fließband abfertigt. Das wird ein Hit, das Publikum ist begeistert, am Abend gab es eine stehende Ovation. Der Film ist nicht etwa schlüpfrig, sondern lieb, lustig und schlicht, er hat keine allzu großen Ambitionen, außer der Aussage „Marianne Faithfull ist an jedem Ort toll und auch die Liebe findest du an jedem Ort“. Das war sehr erholsam und stimmt mit meiner Weltsicht hundertprozentig überein.

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