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Kultur: Liebe Krise

Das „Kursbuch“ ersteht von den Toten auf

Von Gregor Dotzauer

Als im Juli 2008 das von Hans Magnus Enzensberger und Karl Markus Michel im Suhrkamp Verlag begründete Kursbuch nach 43 Jahren und 169 Ausgaben eingestellt wurde, hielt sich die Trauer in Grenzen. Die revolutionäre Energie, die es in seinen frühen Jahren getragen hatte, war lange erloschen, und der geschliffene Ton, mit dem es bis in seine späten Rowohlt-Jahre essayistische Glanzleistungen bot, im Magazinformat stumpf geworden. Von Februar nächsten Jahres an soll es nun dreimal jährlich im Hamburger Murmann Verlag von den Toten auferstehen, im Einverständnis mit Enzensberger, der die Rechte am Titel besitzt, doch ohne seine Beteiligung.

Exhumiert wird das Unternehmen von einem kleinen Verlag, der sich vor allem mit Wirtschaftsbüchern hervorgetan hat. Obwohl ökonomische Theoriebildung gerade in diesen Zeiten immer noch das große Manko des geisteswissenschaftlich geprägten Menschen sein mag, das praktisch orientierte, dem Selbstverständnis des mittleren Managements zugetane Umfeld, wirkt erst einmal suspekt. Man lese Henning Marmullas Untersuchung „Enzensbergers Kursbuch – Eine Zeitschrift um 68“ (Matthes & Seitz), und man weiß, an welchem anderen Ende des intellektuellen Universums hier gearbeitet wird.

Herausgeber des neuen Kursbuchs ist der Münchner Soziologe Armin Nassehi, ein brillanter, weithin anerkannter Wissenschaftler, der als Verfechter eines systemtheoretischen Ansatzes in der Tradition von Niklas Luhmann für das Gegenteil eines eingreifenden, linken Traditionen verhafteten Denkens steht. Als systemtheoretisch geschulter Autor übt er sich in der Beschreibung und Analyse des Bestehenden. Wenn es im Begriff des alten Kursbuchs lag, zu dekretieren, wo es langgeht, scheinen alle Bemühungen jetzt darauf gerichtet zu sein, Rezepte zu entwickeln, wie man sich unter gegebenen Bedingungen am klügsten verhält. Denn der Fahrplan steht immer schon fest: Der Mensch denkt, aber das System lenkt.

Das Antiutopische ist indes Programm. Chefredakteur Peter Felixberger beruft sich dabei auch auf Enzensberger, dem das Wahrheitsfixierte des politischen Kursbuchs früh als Ideologie erschienen war. Felixbergers Zauberwort, das auch Nassehi gerne verwendet, heißt Perspektivendifferenz: Wo viele aus unterschiedlichen Richtungen etwas zusammendenken, entsteht früher oder später ein Gesamtbild.

Noch, sagt Felixberger, der bei Murmann zugleich als Programmchef fungiert, sei nicht das letzte Wort über das Format gesprochen, wobei seine Präferenz bei der Handlichkeit des alten Kursbuchs liegt, allerdings typografisch modernisiert und illustriert. Auch die politische Situierung des neuen Kursbuchs werde gerade noch heftig diskutiert: Ein Vierteljahr vor der ersten neuen Ausgabe unter dem Motto „Krisen lieben“ grenzt das an tödlichen Leichtsinn. Mit einer deutlicheren Vision hätte man womöglich einen neuen Titel kreieren müssen. Die Auflage liegt jedenfalls bei 10 000 Exemplaren. Sie soll langfristig vor allem durch Abonnenten garantiert werden. Die weiteren thematischen Schwerpunkte heißen „Optimieren“ und „Gut leben“. Das lässt vieles offen.

Die Wiederbelebung fällt in eine Zeit, in der intellektuelle Zeitschriften marginalisiert sind, bei entsprechender Profilschärfe aber doch Gehör finden könnten. Ab Januar übernimmt beim einst tonangebenden „Merkur“ der Kunsthistoriker Christian Demand das Ruder. Ohne politische Korrekturen wird das nicht gehen, ein Teil des Elends, in das sich das Blatt manövriert hat, liegt in der masochistischen Linksphobie von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel. Was sie als Nonkonformismus ausgeben, orientiert sich noch immer an den Spätfolgen eines Kursbuch-68. Es wird sich bald zeigen, wer Nonkonformismus auf der Höhe der Zeit zu definieren versteht. Gregor Dotzauer

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