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Kultur: Lieben!

Zauberhaft: „Nathalie küsst“ mit Audrey Tautou.

Die romantischste Variante aller Erzählungen von der Liebe ist wohl die, in der ein vermeintlich nicht liebenswerter Mensch von einem Gefühl emporgehoben wird, von dem er nicht zu träumen gewagt hätte. Um etwa ein Geschöpf wie Audrey Tautou dazu zu bewegen, eine Art Troll in beigegrauem Pullover zu küssen, müssen Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden – besser noch, sie stürzen ein.

Gerade so geschieht es in „Nathalie küsst“, dem Debüt der Brüder David und Stéphane Foenkinos, das mit Worten aus dem Off anhebt: „Die ist ja der Wahnsinn!“ Audrey Tautou ist diese Nathalie, deren schlanke Fesseln in flachen Schuhen über das Pflaster von Paris zu schweben scheinen, getragen von Glockenspielklängen, schwerelos. So segelt sie in die Arme von François, und die beiden erleben eine unbeschwerte Zeit bei Aprikosensaft und zwischen Sofakissen. Doch als Nathalies Handy sie aus dem Mittagsschlaf reißt, ist dieses Leben plötzlich zu Ende. François hat einen Unfall erlitten und stirbt.

„Das Leid hat sie noch schöner gemacht“, raunt Nathalies verliebter Chef, als sie nach Wochen ihre Arbeit wieder aufnimmt. Noch immer schwebt sie durch die altmodischen Flure ihrer schwedischen Firma, doch ihr Blick ist starr geworden, als fixiere sie einen Punkt im Unendlichen. Ihr Mund, den das Lachen verlassen hat, ähnelt einem harten Strich, und Trotz nistet in den Winkeln. Vielleicht gerade deshalb küsst sie ausgerechnet ihren beige-grauen Mitarbeiter Markus (den Ex-Versteckte-Kamera-Star François Damiens), leidenschaftlich, aus heiterem Himmel. Wie die groben Lippen danach seine starken Zähne freilegen, wie seine Augen rollen, wie er aus den riesigen Latschen zu kippen droht – all das belegt: Nathalie hat tatsächlich eine Art Troll geküsst, den mit Abstand unattraktivsten Mann weit und breit. Sie will darüber schweigen, er schaut sie daraufhin aus Selbstschutz nicht mehr an.

Natürlich können das beide nicht auf sich sitzen lassen, und der Komödienmotor startet zu einer späten, ruckenden Reise mit zerbrechlichem Personal. In deren Verlauf lauern Zumutungen auf Nathalie und Markus, den tapsigen Schweden. Ein nächtlicher Spaziergang führt zu einer Brücke mit Blick auf den Eiffelturm, aus dem tausend Lichter sprühen, als Hintergrund für die zarte Figur mit den dunklen Augen. Kein Wunder, dass es Markus alsbald mit der Angst zu tun bekommt, seine Zuneigung könne nichts anderes als lächerlich sein. Und dennoch erkennt er – wie der Zuschauer – in Nathalie unschwer auch Amélie wieder: die Frau als ewiges Mädchen.

„Nathalie küsst“ ist ein Kinomärchen, in dem die Brausebonbons der Kindheit als Liebespfand wieder auftauchen und in dem das perfekte Paar geopfert wird, um die Liebe neu zu erschaffen: gegen alle Widerstände der Betroffenen, ja sogar gegen Glockenspielklänge und Stimmen aus dem Off.

Im Cinema Paris, FaF, Kulturbrauerei und Passage; OmU im Rollberg

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