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Kultur: Liebesbriefe an Sokrates

Das Schwule Museum Berlin stellt sich neu dar – und erinnert an den Künstler Robert T. Odeman

So fangen Liebesgeschichten an. Wer „dieser Hamlet“ sei, fragt der 55-jährige Dichter, als ihm ein junger Schauspieler in Schwarz ins Auge fällt. Die Szene: Eine lockere Runde in einer Berliner Theaterkneipe im Jahr 1959. Der 25-jährige Günther Nöring, ein Landei, ist gerade in Berlin angekommen. Er kennt den Mann, der sich verstohlen nach ihm erkundigt, aus der Zeitung, einen Mann mit länglichem Gesicht, das in einem markanten Kinn ausläuft. Ein Gedicht des sehr populären Robert T. Odeman, Musiker, Rezitator und Kabarettist, kann „dieser Hamlet“ auswendig. Er rezitiert. Alles lacht. Das sei schön gewesen, erklärt Odemann, „leider war es von Ringelnatz“.

Günther Odemann- Nöring kann viele Geschichten über den Mann erzählen, mit dem er nach diesem Auftakt 25 Jahre zusammenlebte. Da sie einander in den Sechzigern nicht heiraten durften, adoptierte Robert T. Odeman seinen jüngeren Lebensgefährten, der seither einen Doppelnamen trägt. „Eigentlich haben wir uns gegenseitig adoptiert“, sagt Odemann-Nöring und schubst seinen Zwergpudel vom Sofa. Heute wohnt der agile 71-Jährige in Berlin-Tegel. Bis zu Odemans Tod logierte das gastfreundliche Paar in einer herrschaftlichen Grunewald-Villa. Mit dem Schauspieler O.E. Hasse palaverte man am Gartenzaun, und auch Tucholskys Witwe kam regelmäßig vorbei.

Am 30. November wäre Robert T. Odeman 100 Jahre alt geworden. Wenn jetzt das Schwule Museum mit seiner Dauerausstellung „Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit“ zwei Jahrhunderte schwuler Geschichte rekapituliert, werden auch Stationen aus Odemans Leben nacherzählt. Als „Labyrinth und Schatzkammer“ bezeichnet der Kurator Andreas Sternweiler die rundum erneuerte Schau mit ihrer raffinierten Innenarchitektur aus versetzten Ausstellungswänden. Zu sehen sind Devotionalien, Transvestitenfummel und andere Objekte. Zeitschriften-Faksimiles, Fotoserien und Gemälde geben Auskunft über die lange Phase der Unterdrückung und des Emanzipationskampfes. Nach wie vor misslich ist die Verengung des historischen Blicks auf homosexuelle Männer – als wenn es eine parallele Lesbengeschichte nicht gäbe. Eine Frage, die das Selbstverständnis eines Schwulen Museums in seiner Gesamtheit betrifft.

Wie ein dunkelroter Faden zieht sich die Geschichte des Paragraphen 175 durch die Dauerausstellung. Er trat nach der Reichsgründung 1871 in Kraft und verbot den Geschlechtsverkehr unter Homosexuellen. Vergeblich begehrte der Berliner Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935) gegen das Gesetz auf. In der Fassung der Nazis hielt es sich noch bis 1969 im deutschen Strafgesetzbuch. „Ein Skandal“, urteilt Karl- Heinz Steinle vom Schwulen Museum, das besonders intensiv über NS-Verbrechen an Homosexuellen forscht. Zu Tausenden wurden Schwule und Lesben in deutschen Konzentrationslagern ermordet. Auch Robert T. Odeman war einer von denen, die im KZ Sachsenhausen mit dem rosa Winkel gezeichnet waren.

In seiner Rolle als Nachlassverwalter und „Zeitzeuge aus zweiter Hand“ schildert Günther Odemann-Nöring die Biografie des Künstlers, der drei politische Systeme erlebt hat. So wurde Odeman geprägt durch die Freizügigkeit der Zwanzigerjahre, lebte in Hamburg mit seinem ersten Freund zusammen und erlebte, dank regelmäßiger Gastauftritte, ab 1929 auch die schillernde Berliner Großstadtszene. Mit den Nazis war das vorbei. Nun galt jede homosexuelle Annäherung als Verbrechen. Ein Spottgedicht auf Hitler verschärfte Odemans Lage. Er wurde mehrfach ins Gefängnis geworfen, durfte im Krieg zwischenzeitlich zur Truppenbetreuung auftreten und landete schließlich im Konzentrationslager.

Unter den Exponaten der Ausstellung sind „Liebesbriefe“ einer angeblichen Verlobten Odemanns. Die Sängerin Olga Rinnebach, die in Wahrheit eine lesbische Freundin des Künstlers war, konnte den Freund mit ihren fingierten Zeilen wohl vor dem Schlimmsten bewahren. Bei der Evakuierung des Lagers 1945 und dem anschließenden Todesmarsch gelang Odeman die Flucht.

„Über die Zeit in Sachsenhausen hat er kaum gesprochen“, berichtet Odemann- Nöring. Auch er selbst hatte Hemmungen, den Ort zu besuchen, an dem der Freund litt. Der machte sich in den Fünfzigern einen Namen mit Kleinkunstprogrammen, bissigen Zeilen für die „Stachelschweine“ und humoristischen Büchern. Der große Theaterkritiker Friedrich Luft attestierte ihm ein „intelligentes Pferdegesicht“, und in Berlin galt er als „Spottender Sokrates vom Kurfürstendamm“. Heute ist sein Ruhm, der einmal dem von Heinz Erhardt glich, verblasst: „Die feine Odeman-Art ist unmodern geworden“, räumt Odemann-Nöring ein. Eines der schönsten Lieder schrieb Odeman unter dem Titel „Denkmalsschänderin“, womit eine respektlose Fliege gemeint war. Ein Odeman-Denkmal gibt es nicht. Bis auf drei Ausstellungswände im Schwulen Museum.

Dauerausstellung tägl. außer Di 14-18 Uhr, Sa bis 19 Uhr. Einen Odeman-Abend begeht das Schwule Museum (Mehringdamm 61) am 16. Dezember, 19 Uhr.

Jens Hinrichsen

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