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Kultur: Liebesspiele bibelfest

Eindeutig ist die Geste nicht, doch wirkungsvoll - weshalb sie der Maler immer wieder gemalt hat: Der lüsterne Alte greift unter das Kinn der jungen Frau, zieht ihr Gesicht zu sich heran, um es in der Dunkelheit noch einmal zu prüfen - oder um ihr einen ersten trunkenen Kuß auf die verheißungsvoll hingehaltenen Lippen zu drücken.Ein Drama en miniature spielt sich hier vor den Augen des gebannten Betrachters ab.

Eindeutig ist die Geste nicht, doch wirkungsvoll - weshalb sie der Maler immer wieder gemalt hat: Der lüsterne Alte greift unter das Kinn der jungen Frau, zieht ihr Gesicht zu sich heran, um es in der Dunkelheit noch einmal zu prüfen - oder um ihr einen ersten trunkenen Kuß auf die verheißungsvoll hingehaltenen Lippen zu drücken.Ein Drama en miniature spielt sich hier vor den Augen des gebannten Betrachters ab.Ist es der von seiner Schwiegertochter verführte Judah oder etwa Loth, der von einer seiner beiden Töchter ins Bett gelockt wird, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern?

Arent de Gelder (1645-1727) verstand sich jedenfalls bestens auf dieses Sujet, überhaupt auf die halbfigurige Darstellung biblischer Szenen vor dunklem Hintergrund: die Protagonisten gekleidet in orientalische Phantasiegewänder, die Haut der Damen samtig aufscheinend zwischen üppiger Seide und schmeichelnder Spitze, den Herren mit bedeutungsvoller Geste in Demut zugetan.Das alles erinnert an Rembrandt van Rijn, den großen niederländischen Meister dieses Genres.Und richtig: Arent de Gelder war 1661-62 sein letzter Schüler, von den Organisatoren der Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museums werbewirksam als "Nachfolger" tituliert.Das ist nicht einmal übertrieben, denn der für die Lehrzeit aus Dordrecht nach Amsterdam übergesiedelte de Gelder erlernte den Spätstil des Meisters und blieb ihm auch dann noch treu, als alle anderen Schüler längst einen eigenen Stil gefunden hatten oder aus kommerziellen Gründen dem aufkommenden Klassizismus zu entsprechen begannen.

De Gelder jedenfalls hatte das nicht nötig.Als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes und späteren Schatzmeisters der Westindischen Compagnie konnte er es sich leisten, der bei Rembrandt erlernten maniera treu zu bleiben und sich als alternder Junggeselle mit Intensität jenen Themen zu widmen, die ihm vermutlich nicht nur künstlerisch nahelagen.Vielleicht ist diese Kauzigkeit ein Grund, daß bislang niemand so recht Kenntnis von diesem letzten Rembrandt-Schüler nehmen wollte.Doch nachdem das µuvre des Malerstars zunehmend ausgeforscht ist und sich auch das "Rembrandt Research Project" einem Ende zuneigt, gilt die Aufmerksamkeit mehr und mehr der zweiten Generation und selbst der zweiten Garnitur.

Arent de Gelder unter einer solchen Rubrik abzuhandeln, wäre indes nicht gerecht.Die knapp sechzig aus aller Welt zusammengetragenen Bilder seiner ersten großen Ausstellung in Deutschland beweisen es.Der Dordrechter Sonderling war ein Künstler eigener Güte.Seine Zeitgenossen hatten das längst erkannt.Arnold van Houbraken, Kunstschriftsteller und Dokumentarist jener Zeit, widmete ihm in seinem Kompendium bedeutender niederländischer Maler noch zu Lebzeiten ein eigenes Kapitel, in dem er sich eingehend mit seiner besonderen Technik befaßt: "Bisweilen, wenn er zum Beispiel Fransen oder eine Stickerei auf ein Stück Stoff malen möchte, schmiert er die Farbe mit einem breiten Malspachtel auf die Tafel oder Leinwand und kratzt das Muster der Stickerei oder die Fäden der Fransen mit einem Pinselstock aus der Farbschicht." De Gelder hat es hier in der Freiheit der Mittel seinem großen Vorbild Rembrandt nachgetan.An seiner Hand erlaubte sich der Schüler die Abenteuer der Farbe; ganz loslassen wollte er sie jedoch nie.Und so erbringt die Kölner Ausstellung mittels zugefügter Radierungen Rembrandts den Nachweis, daß sich de Gelder für seine Kompositionen fast immer vom Lehrer die Anregungen holte.Die Verbeugung vor dem Meister reicht bis hin zum Porträt eines Mannes, vermutlich eines Sammlers, der Rembrandts berühmtes "Hundertguldenblatt" in den Händen hält.

Aber auch umgekehrt sind Erkenntnisse zu gewinnen.Erst Arent de Gelders "Selbstbildnis als Zeuxis" (1685) erlaubt eine wohl endlich befriedigende Deutung von Rembrandts legendären lächelnden Altersporträt, das bis heute als eines der geheimnisvollsten der neueren Kunstgeschichte gilt.Das Frankfurter de Gelder-Porträt Seite an Seite neben dem Kölner Rembrandt-Werk verschafft letzte Klarheit, denn beim Schüler ist noch vollständig zu erkennen, was beim Gemälde des Lehrers am Rande weggeschnitten wurde.Zu sehen ist ein dem Betrachter zugewandter lachender Künstler mit Palette und Pinseln, der sich für einen Moment von der Staffelei weggedreht hat, links von ihm das bei Rembrandt fehlende, mit einem Apfel posierende ältliche Modell.De Gelder stellt sich hier - wie zuvor also auch Rembrandt - in der Rolle des antiken Malers Zeuxis dar, der sich buchstäblich totgelacht haben soll, als er ein Hutzelweib ungeschönt nach dem Leben malte.

Am Ende des 17.Jahrhunderts gab de Gelder so noch einmal ein Bekenntnis zur wirklichkeitsgetreuen Darstellung ab.Deshalb sehen die jüdischen Schönheiten in seinen Bibelszenen immer ein wenig wie die dralle Magd aus dem Nachbarort aus.Seine Zeitgenossen werden sowohl die biblische als auch die erotische Botschaft zu lesen gewußt haben.Zweihundertfünfzig Jahre nach de Gelders Tod sollte es wieder möglich sein, daneben auch seine ganz eigene künstlerische Leistung zu erkennen und zu würdigen.

Köln, Wallraf-Richartz-Museum, bis 9.Mai.Katalog bei Snoeck-Ducaju & Zoon, 54 DM.

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