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Ein Lied mit Vergangenheit: Szene aus dem Video "Saaremaa Walzer".

© Liina Siib / ifa-Galerie

Liina Siib in der ifa-Galerie: Wir haben keine Zeit, wir sind im Urlaub

Warum müssen wir selbst im Urlaub jede Minuten verplanen und Sandburgen bauen? Die ifa-Galerie zeigt Arbeiten der estnischen Videokünstlerin Liina Siib.

Saaremaa ist nicht nur die größte Insel Estlands. Nach ihr ist auch ein Walzer benannt, der beschwingt ein flachsblondes Mädchen und weiße Nächte besingt. Noch heute ist das harmlose Tanzlied bei Urlaubsgästen und Kur-Orchestern beliebt. Doch die estnische Künstlerin Liina Siib sieht in ihm, geschrieben in der stalinistischen Nachkriegszeit, ein Symbol für das totalitäre Sowjetsystem.

Saaremaa war bis 1991 Grenzgebiet, isoliert vom Festland. Auch diente die Insel als Kulisse eines sozialistischen Spektakels: Hunderte Jugendliche wurden dort nach Kriegsende versammelt, um in einer Kollektivaktion Sümpfe trockenzulegen. All diese Zusammenhänge rund um den Walzer rettet Liina Siib in der Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen nun vor dem Vergessen. Historische Aufnahmen hängen an der Wand ihrer großen Rauminstallation „Lass schwingen und springen“, benannt nach einer Liedzeile. In einem Video sieht man, wie heute große Autofähren im Hafen von Saaremaa anlegen, der Song läuft in Dauerschleife.

ifa-Ausstellung zeigt Teile der Serie "Eine Frau braucht wenig Pelz"

Immer wieder arbeitet die 50-Jährige gesellschaftliche Anpassungen heraus. Die ifa-Ausstellung vermittelt griffig einen Überblick über Themen und Herangehensweisen der Foto- und Videokünstlerin. So zeigt sie auch Teile der Serie „Eine Frau braucht wenig Platz“, mit der Liina Siib 2011 auf der Venedig-Biennale den estnischen Pavillon ausstattete: ironischer Kommentar auf eine Geschlechter- Debatte in den baltischen Medien, in der die Meinung vertreten wurde, Frauen verdienen deswegen schlechter, weil sie für ihre Arbeit weniger Platz benötigen. Die Foto-Künstlerin hat Sekretärinnen, Prostituierte, Näherinnen und Köchinnen an ihrem Schreibtisch, auf dem Bett, an der Nähmaschine oder vor dem Topf porträtiert. Den Ausschnitt wählte sie so eng, dass man tatsächlich den Eindruck gewinnen kann, die Berufstätigen können sich auf wenige Quadratmeter beschränken.

Arbeitswelten findet Liina Siib auch am Strand. Auf Sylt hat sie Familien beobachtet: Mutter buddelt im Sand, Vater hebt mit Schaufel bewaffnet einen Graben aus, der Sohn leitet Wasser hinein. Alle sind beschäftigt, keiner ruht. Liina Siib wundert sich, wie selbst in der Freizeit ständig etwas produziert werden muss. Und sei es eine Sandburg.

ifa-Galerie, Linienstraße 139/140, bis 29.6., Di bis So 14–18 Uhr, Katalog 14 €

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