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Wie alles anfing. Intendant Lilienthal um das Jahr 2003/04.

© David Baltzer/ZENIT

Lilienthal-Abschied: Jetzt bloß keine Gefühle zeigen

Jetzt aber endgültig und definitiv: Matthias Lilienthals Abschiedsfest im HAU - mit Wowereit und saufenden Isländern.

In solchen Momenten intensiven Zeitempfindens, wenn man dabei zuschauen kann, wie die Gegenwart ins Vergangene driftet und die Erinnerungen sich schon mit einer Patina von Legende überziehen, wenn etwas langsam vorübergeht, das schon immer so angelegt war, dass es nicht wiederkommt, wenn man also in all den Blitzdiskursen einmal innehält, dann ist es gut, Musik im Haus zu haben.

Neun Jahre Hebbel am Ufer mit Matthias Lilienthal. Er hört auf. Das ist nun ein so großes Thema gewesen in den letzten Wochen und Monaten, dass einem die Worte fehlen zum endgültig definitiven Abschlussfest im HAU. Die schwüle, gewittrige Nacht von Samstag auf Sonntag: Es wurde getanzt bei Matthias, es wurde gesungen und auch geredet. Musste sein. Bloß keine großen Emotionen. Bloß kein Kitsch, keine „Kunstkacke“, wie er das Theater nennt, das er überwunden glaubt. Bloß keine Tränen, wenn Matthias geht. Dafür rinnt der Schweiß über die Wangen.

Alle nennen ihn sowieso nur beim Vornamen, und das ist ein untrüglicher Ausweis von Zuneigung und Popularität. Man erinnert sich an Heiner, an Frank – Majestäten wie Müller oder Castorf gehören geduzt. Ja, und dann kommt Klaus mit roten Schuhen auf die Hebbel-Bühne, um dem „lieben Matthias“ eine Abschiedsrede zu halten; der Regierende Bürgermeister fängt sich aber erst einmal ein paar Buhrufe ein. Er kontert mit einem Witzchen über Entrauchungsanlagen, weil Nebelwerferschwaden von der vorigen Nummer in der Luft hängen und das Bühnenbild ein Flammenmeer andeutet. Wowereit lobt den einmaligen „Stadttheaterdirektor“ Lilienthal, die große „Weltaneignungsmaschine“, die das HAU gewesen ist, die „Sauerstoffdusche“ für Berlins Kulturszene. Und er sagt: „Wenn du willst, dann wird in Berlin ein herausragender Platz für dich da sein.“

Video: Matthias Lilienthals Abschiedesevent "Die Große Weltausstellung 2012"

Schönes Versprechen, nur: Matthias Lilienthal geht erst einmal für ein Jahr als Dozent nach Beirut, danach bereitet er das Festival Theater der Welt 2014 in Mannheim vor. Und wer weiß, wie in ein paar Jahren die Berliner Kulturpolitik aussieht, wer sie bestimmt. Der so hoch Gepriesene sagt auch ein paar Worte, bedankt sich ausführlich bei seinem Team. „Es war eine Superzeit“. So ist er. Bloß nicht sentimental werden.

Lilienthal hat sich zwei verrückte isländische Performancekünstler eingeladen, Ragnar Kjartansson und David Thor Jónsson. Die saufen Sekt, rauchen dicke Zigarren und tragen in voller Abendgarderobe – man schwitzt schon beim Hinsehen – Schumann und Heine vor, die „Dichterliebe“. Auf dem Flügel knallen die Korken und Tasten, der Gesang erledigt den Rest von Romantik, den Heine noch nicht gerupft hat. Lilienthals Wahl überrascht: deutsches Kunstlied, Herzschmerz, Liebeswahn. Das erlaubt er sich mit ironischen Brechungen. An diesem Abend hat sein Jeans-Panzer ein paar Risse. Schön so. Liebe ist wie ein Spielplan. Launisch. Aber das HAU war immer da, so chaotisch wie verlässlich. Immer offen.

Musik! Peaches organisiert ein mitreißendes Karaoke-Konzert („Should I Stay or Should I Go“, „Always On My Mind“) mit She-She-Pop- und Gob-Squad-Akteuren. Der Chor der Mitarbeiter schmettert dem Chef zum Schluss „I Will Survive“. Sie haben ja schon überlebt. Im HAU 2 bringt Patrick Wengenroth die Hommage „Ich bleibe doch“. Ein bisschen brav. Viele Worte, Parodien, schöne Lieder. Lustige Lilienthal-Fotos. Ja, das wars. Jetzt sind wir alle neun Jahre und neunhundert Produktionen älter – und jedenfalls nicht dümmer. Hau doch ab!

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