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Kultur: Linke Schwermut

Melancholie hat Konjunktur. Für Sigmund Freud war sie die Reaktion auf eine Verlusterfahrung, die sich bewältigender Trauerarbeit verweigert.

Melancholie hat Konjunktur. Für Sigmund Freud war sie die Reaktion auf eine Verlusterfahrung, die sich bewältigender Trauerarbeit verweigert. Literarisch kann das sehr produktiv sein. Freuds fast unbekannter österreichischer Landsmann Theodor Kramer hat über 10 000 Gedichte geschrieben. Viele beklagen Verluste – etwa den der Heimat. Landstreicher und Tagelöhner, die seine Lyrik bevölkern, kannte Kramer, in den zwanziger Jahren Verlagsvertreter und selbst Wandersmann, nur zu gut. „Nicht fürs Süße“, schreibt er, „nur fürs Scharfe und fürs Bittre bin ich da“. Mit der „Gaunerzinke“ (1928) kam der Erfolg, hielt aber nicht lange an.

Als die Deutschen in Wien einmarschierten, emigrierte Kramer, Jude und Sozialdemokrat, nach England. Dort schlug er sich als Hausdiener und College-Bibliothekar durch, beging einen Selbstmordversuch und kam in eine Nervenheilanstalt. 1957 kehrte er nach Österreich zurück – „erst in der Heimat bin ich ewig fremd“ – und starb ein Jahr darauf. Die melancholischste Kramer-Interpretation lieferte der Liedermacher und Clown Hans-Eckart Wenzel vor zehn Jahren mit seiner CD „Lied am Rand“. Nun spricht Herbert Laschet Toussaint , selbst Lyriker und Publizist, am 18.5. (20 Uhr) im Café Lyrik Kramer-Gedichte (Kollwitzstr.97, Prenzlauer Berg).

Für die Nazis war Kramer ein „Hofpoet der Demokratie“. Aber auch die Linke konnte mit ihm wenig anfangen, er fiel unters Verdikt der „linken Melancholie“, von der Walter Benjamin mit Blick auf Erich Kästner sprach. Wie es ums melancholische Potenzial der 4. Linken Buchtage bestellt ist, wird man vom 19. bis 21.5. sehen, wenn linke Verlage im Mehringhof (Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg) ihre Programme vorstellen. Diskutiert wird zum Beispiel über „Ideologiekritik des Heuschreckenkapitalismus“. Auch Literatur findet statt. Etwa mit einer Spurensuche nach B.Traven . Wer sich hinter dem Autor erfolgreicher Abenteuerromane wie „Der Schatz der Sierra Madre“ verbirgt, war lange ungewiss. Erst in den achtziger Jahren erhärtete sich der Verdacht, dass es sich um den Schauspieler und Anarchisten Ret Marut handelt. Der war Aktivist der Münchner Räterepublik und flüchtete nach ihrem Ende gen Mexiko, wo er 1969 starb. Da hatte er ein Dutzend Pseudonyme verbraucht und war von wilden Gerüchten umgeben – er sei ein Halbbruder Walther Rathenaus, hieß es, gar ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. Über Travens Leben erzählen Claus Kristen und Roland Kremer am 20.5. (13 Uhr) in einer „multimedialen Reise von München nach Chiapas“.

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