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Bloß nicht hängen lassen. Lisa Bassenge singt Lieder, die mitten ins Herz treffen.

© Minor Music

Lisa Bassange: Wurstbrot für Möwen

Mit dem Album "Nur fort" kommt die Jazzsängerin Lisa Bassenge im Pop an. Sie singt Deutschrock, Hildegard Knef und ein Kunstlied von Schumann.

Liebe ist ein flüchtiges Gefühl. Sie lässt sich nicht festhalten und sie hält beweglich. Wer liebt, der begibt sich auf Reisen: zu zweit Richtung Unendlichkeit. Auch wenn die Unendlichkeit vielleicht nach ein paar Tagen schon endet. „Lass uns abhauen, verschwinden, ’n polnischen machen / Einfach gehn, Leine ziehn / Komm, lass deine Sachen, lass alles hier“, fordert die Sängerin. Sie seufzt übermütig, ein Polka-Schlagzeug rumpelt, MariachiTrompeten künden von der verlockenden Ferne. In See stechen, die Möwen mit Wurstbroten füttern, Tee trinken bei den Krokodilen. Ganz egal, Hauptsache: „Nur fort, nur fort, nur fort.“

„Nur fort“ heißt das Titelstück von Lisas Bassenges gerade erschienenem neuen Album. Es ist ein hinreißender Aufruf zum Eskapismus und ein garantiert erfolgreiches, nicht apothekenpflichtiges Gegenmittel gegen jede Form von Winterdepression. Im Video tanzt die Berliner Sängerin im gepunkteten, fast beinfreien Kleid in einem Tigerkäfig, am Ende regnet Konfetti auf sie herab. Eine Gesangsnummer als Zirkusattraktion, der Ruhm kann kommen.

Bassenge, 1974 geboren und in Zehlendorf aufgewachsen, zählte lange zu den Hoffnungen des deutschen Jazz. Sie absolvierte ein Gesangsstudium an der Hanns-Eisler-Musikhochschule, interpretierte zu akustischer Begleitung Standards aus dem American Songbook und brachte es mit ihrem Trio bis in die „Harald Schmidt Show“. Daneben arbeitete sie mit ihrer Band Nylon an der Wiederbelebung des deutschsprachigen Chansons mit elektronischen Mitteln und brachte das Clubprojekt Micatone an den Start.

Doch nun, mit dem fünften Studioalbum, das unter dem Namen Lisa Bassenge erscheint, ist sie endgültig im Pop angekommen. Etwas Federndes liegt über den Arrangements, die von ihrem langjährigen Bassisten Paul Kleber stammen und Raffinesse mit Lässigkeit verbinden. Eine Coverversion von Hildegard Knefs HeimwehBlues „In dieser Stadt“ wird von einem Akkordeon und den Mollakkorden eines Pianos in Nostalgie getaucht, das Auftaktstück „Übers Eis“ prunkt mit einer orientalischen Melodielinie.

Eine Selbstbefragung vor Schneelandschaft, es geht um die Unwägbarkeiten der Liebe: „Ich weiß nicht, bleib ich hier mit dir?“ Bei „Girl In The Mirror“, einer berückenden Eigenkomposition, spielt Paul Niehaus von der amerikanischen Südstaaten-Band Calexico PedalSteel-Gitarre.

Der zerdehnt aufheulende Klang seines Instruments passt zu der zähneknirschenden Melancholie, mit der eine Ich-Erzählerin hier Bilanz zieht. „The girl in the mirror is addicted to time / She knows how to act and she knows how to mime.“ Ein Leben als Täuschungsmanöver, jedes Lächeln antrainiert. Aber gnadenlos registriert der Spiegel jede Falte im Gesicht. Das altmodisch elegante Songwriting erinnert an – die von Bassenge einst für ein Nylon-Stück eingedeutschte – Carole King, auch die herbe Lebensweisheit von Country-Ladies wie Linda Ronstadt oder Lucinda Williams ist nicht weit weg.

Die fünf Eigenkompositionen und sechs Coverversionen von „Nur fort“ gehen nahtlos ineinander über. Bassenge hat immer schon gerne halb vergessene Perlen des deutschsprachigen Musikschaffens adaptiert, von den Schellack-Schlagern der Wiener Chansonniere Greta Keller („Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt“) bis zum Amiga-Jazz von Manfred Krug („Lass mich nicht gehen“). Hildegard Knef ist ohnehin ihre Hausheilige. So singt sie auf der Platte noch eine zweite Nummer der Anti-Diva, ein Selbstporträt als Sisyphus zu Glockenspiel, Stottergitarre und hartem Schlagzeugbeat. „Dass es gut war, wie es war, das weiß man hinterher / Dass es schlecht ist, wie es ist, weiß man gleich“, heißt es da aphoristisch.

„Eine schöne Melodie und schöne Harmonien“ müsse ein Song haben, den sie zum Singen aussuche, sagt Bassenge. Vor allem aber: „einen Text, der mich berührt“. Fündig geworden ist sie im Kunstlied, bei Robert Schumanns Vertonung des Eichendorff-Gedichts „Auf einer Burg“, und im Deutschrock, bei Udo Lindenbergs Ballade „Vakuum“ über einen Trinker, der neben „Lady Horror“ erwacht. Die Wehmut des Verlassenwerdens aus dem Element-of-Crime-Stück „Seit der Himmel“ („Bei mir geht überhaupt nichts mehr / Weil sich alles um dich dreht“) spiegelt sich im Abschiedsschmerz der Eigenkomposition „Hörst du nicht mein Herz“: „Und die Tauben picken, als sei nichts passiert / Das Radio spielt, als sei nichts passiert“. Lisa Bassenge singt Lieder, die ins Herz treffen.

„Nur fort“ von Lisa Bassenge ist bei Minor Music erschienen. Ihre Tour beginnt am 20. Januar in Halle und führt die Sängerin am 21. Februar ins Berliner Quasimodo.

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