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Kultur: Literarische Angst

Wer Radu Lupu als einen aufregenden Pianisten in Erinnerung hat, staunt nicht wenig, bei der Wiederbegegnung den gefälligen Mozart-Spieler vorzufinden.Gewiß, es mag überholt sein, in das Klavierkonzert c-Moll KV 491 ein "tragisches Sichaufbäumen", dämonische Gewalten, bitteres Leid und entsprechende Seelenlagen des Komponisten hineinzudeuten.

Wer Radu Lupu als einen aufregenden Pianisten in Erinnerung hat, staunt nicht wenig, bei der Wiederbegegnung den gefälligen Mozart-Spieler vorzufinden.Gewiß, es mag überholt sein, in das Klavierkonzert c-Moll KV 491 ein "tragisches Sichaufbäumen", dämonische Gewalten, bitteres Leid und entsprechende Seelenlagen des Komponisten hineinzudeuten.Trotzdem ist das Moll-Werk kein gemütliches Stück.Als sein Solist legt Radu Lupu eine Gelassenheit an den Tag, die irritiert.Über die Anschlagskultur hinaus, den feinen Klang teilt die Interpretation nichts Persönliches mit, keine Innenspannung.Dieser Habitus pianistisch sorglosen Perlens führt dazu, daß sich das Hörinteresse mehrheitlich auf den Orchesterpart verlagert.Der ist von Mozart reich bedacht, nähert sich symphonischer Anlage und gibt daher Anlaß, sich am Einsatz des Deutschen Symphonie-Orchesters unter Vladimir Ashkenazy zu erfreuen.

Eine großartige Orchesterleistung schließt sich mit einer Musik an, die in der Tat biographische Konflikte mitträgt, Pjotr Tschaikowskys "Manfred"-Symphonie.Das "Dramatische Gedicht" von Lord Byron hat den Komponisten stark beeindruckt.Naheliegend sind die Bezüge: der Titelheld, gepeinigt von einer geheimnisvollen Schuld, lebt in Einsamkeit, wandert im Gebirge.Er beschwört Geister - und der Dirigent Ashkenazy scheint das in seiner vehementen Gestik handgreiflich zu tun -, um Erlösung, Vergessen zu finden.Es ist ein Seelendrama der vermischten Gefühle, da aus einer als sündhaft empfundenen Liebe - Byrons Beziehung zu seiner Stiefschwester, Tschaikowskys Homosexualität, Manfreds inzestuöses Verhältnis zu Astarte - Isolation, Entfremdung, Ruhelosigkeit entsteht: "Du selbst sollst deine Hölle sein!" "Manfred" gehört in Byrons Schaffensperiode des mental theatre, in der Romantik ein vielgelesenes Buch.Der Name des Helden ist der Geschichte "The castle of Otranto" von Sir Horace Walpole entnommen, dem englischen Landedelmann, der das Element des Unheimlichen in die Literatur bringt, 1765, den Schauerroman, tale of terror, den Richard Alewyn der Literarischen Angst zuordnet.

Byrons Dichtung spielt in den Alpen.Vor dem Hintergrund dieser gipfelstürmenden Zerrissenheit, dieser spezifisch romantischen Tragik aus Sünde und Schuld versteht sich die Interpretation Ashkenazys, die den brünstigen Schmerzen des Helden sehnend weiten Klangraum gibt, bis mit Harfenschlag und Orgelweihe "Manfreds Tod" erreicht ist.

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