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Literatur: Bei Anruf Grass

Das Kieler Literaturtelefon war knapp 30 Jahre eine Bühne für Star- und Nachwuchsautoren - nun wird es eingestellt.

Kiel - Günter Grass, Siegfried Lenz und Peter Härtling haben den Anrufbeantworter besprochen. Feridun Zaimoglu steht bereits auf der Warteliste. Ende März werden Auszüge aus seinem Roman "Leyla" am Kieler Literaturtelefon zu hören sein. Der in der Fördestadt lebende Schriftsteller beschließt diese literarische Einrichtung. Nach knapp 30 Jahren ist Ende März Schluss.

Ganz auf den Literatur-Hörgenuss müssen die Hörer wahrscheinlich aber dennoch nicht verzichten. Die Stadt arbeite an einer Lösung, wie das Literaturtelefon auf zeitgemäßere Weise fortgeführt werden könne, sagt Angelika Stargardt vom Kieler Kulturamt. Sie ist bereits seit 1992 für das Literaturtelefon zuständig. Angedacht sei eine Verlagerung ins Internet. Die endgültige Entscheidung darüber falle in der kommenden Woche.

Die Hafenstadt hatte Ende 1978 das erste deutsche Literaturtelefon geschaltet. Ein Student hatte die Idee "Dial a Poem" von einem Auslandssemester in London mitgebracht und den damaligen Kieler Kulturreferenten Dieter Opper von der Idee überzeugt. Rund 2900 Euro pro Jahr ließ sich die Stadt das Literaturtelefon seitdem kosten. Im wöchentlichen Wechsel werden jeweils etwa fünf Minuten lange Ausschnitte aus Romanen, Kurzgeschichten und Gedichte gesendet.

Kiel als Vorbild

"Anfänglich hörten sich zwischen 500 und 1000 Literaturliebhaber pro Woche die Beiträge an", sagt Stargardt. Zahlreiche weitere Städte folgten dem Kieler Beispiel. In letzter Zeit hätten dagegen nur noch zwischen 80 und 150 Anrufer pro Woche die Nummer des Literaturtelefons gewählt. Der Anruf kostet neben dem normalen Ortstarif keine weiteren Gebühren.

Die Aufnahmen der bekannteren Schriftsteller werden meist am Rande von Lesungen in Kiel gemacht. "Früher bin ich abends selbst ins Hotel getobt, um die Aufnahmen zu machen", erzählt die Kulturamts-Mitarbeiterin. Aber auch noch weitgehend unbekannte Nachwuchsautoren erhalten eine Chance. Zahlreiche Bänder von Nachwuchsautoren sind in den vergangenen Jahren zunächst auf dem Schreibtisch von Angelika Stargardt und anschließend teilweise auch auf dem Anrufbeantworter gelandet.

Folgen die Hörer ins Internet?

Im Falle einer Verwendung winkten früher 50 Mark, heute gibt es 26 Euro. Verweigert habe sich kein einziger Autor, versichert Stargardt. Etwa 1500 Bänder beziehungsweise Mini-Discs sind mittlerweile besprochen worden. Wegen des Datenschutzes weiß Stargardt nur wenig über die Hörerschaft. Sie vermutet jedoch, dass unter dem Stammpublikum viele Ältere sind. Ob diese Literaturfans einen Schritt ins Internet mitmachen, erscheint fraglich.

Das Ende des herkömmlichen Literaturtelefone begann bereits Anfang des Jahrtausends, als die Telekom ankündigte, Literaturtelefone aus dem Ansageprogramm herausnehmen zu wollen. "Die meisten Literaturtelefone in Deutschland sind damals eingegangen", sagt Stargardt. In Kiel entschied man sich jedoch kurzfristig, das Kulturprogramm per Telefon weiter zu betreiben und schaltete unter der Rufnummer 0431-9011156 einen Anrufbeantworter. Der gibt ab Montag Auszüge aus dem Romandebüt "Wie der Soldat das Grammofon repariert" von Sasa Stanisic wieder. Mit Zaimoglu geht das Programm am 31. März zu Ende, zumindest auf diesem Wege. (Von André Klohn, ddp)

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