zum Hauptinhalt

Literatur: Die langen Schatten des Verrats

Kolumbianische Vater-Sohn-Tragödie: Juan Gabriel Vásquez’ Debütroman „Die Informanten“.

Der Kolumbianer Juan Gabriel Vásquez, 1973 in Bogotá geboren, studierte lateinamerikanische Literatur an der Sorbonne und lebt heute in Barcelona. In seinem Debütroman „Die Informanten“ entspinnt er eine zweifache Vater-Sohn-Geschichte – und das in Form eines doppelten Buches. Je weiter sich sein Protagonist, der Journalist Gabriel Santoro, durch die Nebel des Zweiten Weltkriegs hindurchstochert, desto verzweifelter beklagt er sein „schreckliches Unvermögen“, über berufliche Erfordernisse hinaus Empathie für andere Menschen zu empfinden.

Es beginnt damit, dass Gabriel Santoro an einem stürmischen Aprilabend 1991 zu seinem Vater bestellt wird. Der berühmte Rhetorikprofessor hatte die von seinem Sohn verfasste Chronik „Ein Leben im Exil“ drei Jahre zuvor mit einem wütenden Verriss bedacht und anschließend geschwiegen. Auch jetzt will er ihn nur sehen, um ihm mitzuteilen, dass er am Herzen operiert wird. Santoro junior fühlt sich hintergangen. Was er nicht ahnt: Hinter dem Verhalten seines Vaters steckt ein tödlicher Verrat. Haben die vier Finger, die dem Professor seit früher Jugend an einer Hand fehlen, damit zu tun? Es ist Gabriels Buch „Ein Leben im Exil“, das den seltsamen, immer neue betäubende Geheimnisse generierenden Vater-Sohn- Konflikt ausgelöst hat.

Santoro junior schildert darin das Schicksal einer jüdischen Freundin der Familie namens Sara Guterman. Sie stammte aus Emmerich am Rhein. Ihr Vater, ein Käsefabrikant, beschloss 1938 den lebensrettenden Umzug in den kolumbianischen „Busch“: „Die Idealisten dagegen packten eines Abends ihre Koffer und sagten: Das Leben ist besser an einem Ort, den wir nicht kennen.“ Doch statt in der neuen Heimat weiterhin Käse zu produzieren, übernehmen die Gutermans die Pension „Nueva Europa“. Dort lernte Sara den Jurastudenten Gabriel Santoro kennen.

Ab 1941 hatte die liberale kolumbianische Regierung mehrere geheime Abkommen mit den USA geschlossen. Unter anderem wurden Einwanderer aus den Staaten der Achsenmächte gezwungen, aus den klimatisch angenehmen Küstenregionen ins Landesinnere umzuziehen, wodurch sich Städte wie Bogotá und Medellín mit Deutschen und der „üblichen Rivalität der Heimatlosen“ füllten. Als Beitrag zum Kampf gegen Deutschland und dessen Verbündete erklärte sich Kolumbien außerdem bereit, eine schwarze Liste „feindlicher“ Ausländer anzulegen (Enemy Alien Control Program). In dieses Verzeichnis zu geraten, habe zunächst die Internierung in ein Luxushotel und auf längere Sicht den bürgerlichen Tod bedeutet, erläutert der Autor im Nachwort. Das ist der einzige nicht fiktive Teil des Romans, der sich als Nachschrift zu „Ein Leben im Exil“ tarnt.

Nicht nur „echte“ Nazis standen auf der schwarzen Liste, es konnten durch Denunziation auch Unschuldige wie der Geschäftsmann Konrad Deresser darauf geraten. Am Buß- und Bettag 1943 gaben die Deressers ein Abendessen, zu dem neben dem Freundespaar Sara und Gabriel auch ein als unverhohlene Nazis auftretendes Ehepaar kam. Der Abend wird zum Wendepunkt, beobachtet von Enrique Deresser, Konrads Sohn. Enrique weigert sich, das antiquiert wirkende Deutsch seines Vaters zu sprechen und überhaupt etwas mit dessen europäischer Vergangenheit zu tun zu haben: „Er wollte eine Figur ohne Kulisse sein. Ein zweidimensionales Wesen ohne Hintergrund.“ Konrad Deresser, durch die schwarze Liste ruiniert, begeht später in der Internierung Selbstmord. Und die Reise ohne Wiederkehr des reuigen Rhetorikprofessors führte zu eben jenem „hispanisierten“ Enrique, der den Verräter seines Vaters kannte: Santoro senior.

Am Ende fällt der Erzähler seiner eigenen Familiengeschichte und seinem Ehrgeiz, diese aufzudecken, seelisch zum Opfer. Der junge Journalist Gabriel Santoro aus Kolumbiens Hauptstadt Bogotá wird von einer Vergangenheit eingeholt, die Spanisch mit hartem deutschen Akzent spricht. Von Susanne Lange in ein sehr schönes, geschmeidiges Deutsch gebracht.

Juan Gabriel

Vásquez:
Die

Informanten.

Roman. Aus dem

Spanischen von

Susanne Lange.

Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2010. 381 Seiten, 22,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false