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Retter in der Not. In Berlin und Brandenburg dürfen Buchhandlungen in der Pandemie offen bleiben.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Literatur in der Pandemie: Ein Dank an die Antiquariate im Lockdown

Buchhandlungen dürfen in der Pandemie offen bleiben. Unser Autor spaziert durch Antiquariate in Prenzlauer Berg. Und macht bemerkenswerte Funde.

Die Buchläden sind zur Zeit eine der wenigen Kulturbastionen der Stadt. Nicht auszudenken, wenn auch sie nicht öffnen dürften. Sie stehen ohnehin schon unter massivem und in den langen Corona-Monaten noch verstärktem Druck durch die Versandriesen; aber wer kann sich dem bequemen Online-Angebot allezeit widersetzen!

Der Buchhandel leistet Großartiges, und dazu zählen natürlich auch die Antiquariate. Dass Berlin da einiges zu bieten hat, fällt jetzt besonders auf, da man vor so vielen geschlossenen Geschäften steht. Schaufenster wirken wie eine Fata Morgana, wenn man den Laden nicht betreten darf, und zur Urbanität gehört es unbedingt, sein Geld auszugeben, wo und wie man Lust hat, auch für Dinge, die man eigentlich gar nicht kaufen wollte.

So ist es mir kürzlich am Wochenende bei einem ausgedehnten Spaziergang im Prenzlauer Berg passiert, die Antiquariatsdichte und -Qualität ist da ja ziemlich hoch. Auf einem Büchertisch sprang eine Biografie von Andrzej Szczypiorski ins Auge, verfasst von Marta Kijowska, einer früheren Kollegin.

Ich griff gleich zu und stellte erst an der nächsten Ecke fest, dass ich den hierzulande vor allem als Romancier bekannten Andrzej Szczypiorski mit Ryszard Kapuscinski verwechselt hatte. Der war ein recht abenteuerlicher Reporter in jeder Hinsicht, er ging dahin, wo es gefährlich war, und nahm es, wie sich später herausstellte, mit der Frage von Dichtung und Wahrheit nicht immer so ernst.

Ähnlich verhält es sich bei Bruce Chatwin und seinen Reisebüchern, wobei Chatwin es ablehnte, als „Reiseschriftsteller“ bezeichnet zu werden. Chatwin übrigens eignet sich sehr gut als Covid-Lektüre, vor allem seine oft vernachlässigten Romane.

Mäßigen Kaffee und ermäßigte Croissants

Szczypiorski also statt Kapuscinski, warum nicht. Das lese ich jetzt mal, nehme es als Zeichen, froh darüber, dass es hier all die tollen Buchläden gibt.

Als nächstes rettete ich ein Buch von Adriana Altaras aus der Kälte auf der Prenzlauer Allee. Wir kennen uns von früher, aus der freien Theaterszene, und damit ist zwar die Frage nicht beantwortet, ob Bücher, zumal Taschenbücher ohne Einband, frieren können oder müssen. Aber der Kauf fühlte sich gut an.

In Altaras’ Theaterroman „Die jüdische Souffleuse“ finde ich die Stelle: „Pause. Wir gehen in die Kantine, die sich vier Stockwerke unter Tage befindet. Es gibt mäßigen Kaffee und ermäßigte Croissants vom Vortag.“ Hat sich schon gelohnt. „Der Kantinenfernseher zeigt im Wechsel die Bühnenproben und die Nachrichten. Dabei denke ich an lange Abende und Nächte in diversen Kantinen dieser Stadt, die einmal berühmt war für ihre vielen Bühnen."

Um in die Kantine zu kommen, muss man nicht unbedingt in die Vorstellung gehen. Aber ohne Spielbetrieb gibt es eben auch kein richtiges Kantinenleben. Selige Zeiten einst unten im BE oder der in der Volksbühne, wo man sehr viel trinken musste, um nicht ernsthaft an den Bouletten zu leiden. Schließlich sind Theaterkantinen nicht für Kulinarik berühmt, sondern für Gefechte und Gespräche und Gelage; früher einmal ...

Eine größere Auslage für Heiner Müller

In der Immanuelkirchstraße balanciere ich einen Becher mit heißem Kaffee und die Bücher, die sich inzwischen vermehrt haben. Hinzugekommen ist, einigermaßen schwer, ein Bildband von Karl Bloßfeldt, dem Fotografen, der Pflanzen in Vergrößerung aufnahm, als wären es Kunstwerke aus Eisen. Natur und Skulptur. Dabei nähere ich mich, ohne es zu ahnen, dem stillen Höhepunkt des lange fälligen Prenzlauer-Berg-Spaziergangs. Inzwischen gehe ich auch schon deshalb durch jede offene Ladentür, um mich etwas aufzuwärmen.

Dieses Antiquariat hat ein Fenster mit Büchern von Thomas Brasch dekoriert – und nebenan eine noch größere Auslage mit Heiner Müller. Das überrascht dann doch freudig. War Müllers 25. Todestag am 30. Dezember der Anlass für diese Schaufensterdramaturgie?

Im Gespräch mit dem Buchhändler und einer anderen Kundin, die sich gut auszukennen schien, kommt der Hinweis auf Müllers Geburtstag, der war am 9. Januar. Allerdings kein runder, denn Müller wurde am 9. Januar 1929 geboren. Es sei ein Risiko gewesen, dieses Heiner-Müller-Fenster, sagt der Buchhändler und fügt hinzu, dass es auch schon Käufer gegeben habe, darunter ein „junger Mensch“.

Ich kaufe dort, wie erwähnt, den Roman „Utz“ von Bruce Chatwin und ärgere mich nachher, dass ich die Erstausgabe von Nicolas Borns „Die Fälschung“ nicht gekauft habe. Ich habe das Buch vor Jahren bei einem Umzug eingebüßt, und nun fehlt es doppelt.

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