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Inge Jens bei der Vorstellung ihres Buches "Unvollständige Gespräche" in Berlin 2009.

© imago stock

Literatur und Zivilgesellschaft: Inge Jens ist mit 94 Jahren gestorben

Sie editierte die Tagebücher von Thomas Mann und gehörte mit ihrem Ehemann Walter Jens über Jahrzehnte zu den Geistesgrößen der Bundesrepublik.

Familiendynastien haben Inge Jens fast Ihr Leben lang beschäftigt. In der geistigen Geschichte der Bundesrepublik ist die Familie Jens selbst eine kleine Dynastie. Zusammen mit ihrem 2013 verstorbenen Ehemann Walter hat sie das zivilgesellschaftliche Leben der Bundesrepublik geprägt, ihr im vergangenen Jahr verstorbener Sohn Tilman war ein renommierter Schriftsteller. Am Freitag teilte die Familie mit, dass die Literaturwissenschaftlerin und Thomas-Mann-Expertin im Alter von 94 Jahren gestorben ist.

Inge Jens wurde stets in einem Atemzug mit ihrem Ehemann genannt, mit dem sie viele Projekte verband - etwa die Zusammenführung der beiden Berliner Akademien der Künste im Ost- und Westteil der Stadt. Oder die gemeinsame Arbeit an der Biografie von Katharina Pringsheim „Frau Thomas Mann“ aus dem Jahr 2003. Im Schatten des berühmten Philologen hat sich Inge Jens jedoch nie gesehen, ihre partnerschaftliche Arbeit auf Augenhöhe galt als beispielhaft in den intellektuellen Kreisen der Bundesrepublik.

Denn Inge Jens hat als Publizistin auch ein eigenständiges Werk hervorgebracht. Die Familie Mann spielte dabei immer eine wichtige Rolle, sie gab aber auch die Tagebücher des Operettenkomponisten Ralph Benatzky und die Briefe der Geschwister Hans und Sophie Scholl heraus. Ihre 2009 erschienene Autobiografie „Unvollständige Erinnerungen“ spiegelt nicht nur die Geistesgeschichte der jungen Bundesrepublik wider, sie ist auch die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Intellektuellen und politischen Aktivistin.

Das NS-Erbe lastete auf der Familiengeschichte

Inge Jens, geborene Puttfarcken als älteste von vier Kindern einer Hamburger Akademikerfamilie, und Walter Jens lernten sich während des Studiums in Tübingen kennen und heirateten 1951. Ihr Vater war Mitglied der SS, sie selbst war später eine Führerin im BDM – eine Prägung, die in ihrem Leben noch einmal von Bedeutung sein sollte, als die Mitgliedschaft von Walter Jens in der NSDAP an die Öffentlichkeit kam. Anders als ihr Mann hat sich Inge Jens mit dieser schweren Zeit in ihrer Biografie sehr kritisch auseinandergesetzt. Auch Tilman Jens hat sich mit dem Erbe des Vaters beschäftigt, seine Erinnerungen waren jedoch unversöhnlicher als die seiner Mutter.

Die familiären Konflikte hat Inge Jens in ihrer Autobiografie nicht an die Öffentlichkeit getragen, dafür die Krankheit ihres Mannes, dessen persönliche Verdrängungsleistung nach der Enthüllung seiner NS-Geschichte schleichend in eine Demenz überging. Über das Leben mit ihrem langsam verschwindenden Ehemann schrieb Jens 2016 in ihrem Buch „Langsames Entschwinden. Vom Leben mit einem Demenzkranken“, wieder in einem bewundernswert sachlichen Stil, der ihr Markenzeichen war.

Inge Jens hat ihre publizistische Arbeit nie von ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement getrennt. In den achtziger Jahren demonstrierte sie mit der Friedenbewegung in Mutlangen gegen die Raketenstationierung, während des zweiten Golfkriegs versteckte sie zwei amerikanische Wehrdienstverweigerer und wurde wegen Beihilfe zur Fahnenflucht angeklagt.

Dass Inge Jens nicht nur ihren Mann, sondern auch ihren Sohn überlebte, bezeichnete sie in ihren letzten Lebensjahren als schweren Schicksalsschlag. Nun ist die einflussreiche Publizistin und gesellschaftliche Stimme im Alter von 94 Jahren verklungen. (Tsp)

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