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Sein Weg. Blair in einer irischen Buchhandlung. Vor der Tür wurde er mit Schuhen und Eiern beworfen.

© dpa

Literatur: Von Saddam und Gordon

Ein Buch wie Blair: Der ehemalige britische Premier legt seine Memoiren vor.

Tony Blair war immer am schwersten zu fassen, wenn er offen war wie ein Buch. So ist es auch in seinen Memoiren: Wie er als Politiker mühelos vom Weltstaatsmann zum „Kumpel von Nebenan“ und zurück mutierte, fließt hier der Bewusstseinsstrom schwerelos von stahlharter Machtarroganz zu sarkastischer Selbstherabsetzung, vom Klatsch zur Konfession und dann zur leidenschaftlichen Analyse unserer epochalen Herausforderungen. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses charmant schwebende Konstrukt der echte Blair ist, der übers Regieren schreibt: „Gleichgültig, wie gut man als Schauspieler ist, am Ende ist es kein Theater.“

In lockerer Chronologie, mit nur knappsten biografischen Rückblenden, führt die Reise von den frühen Oppositionsjahren, in denen der Außenseiter mit einer brillanten neuen Geschäftsidee die Labourpartei übernahm, durch zehn turbulente Jahre in der Downing Street bis zum Postscriptum – Blairs politischem Testament. Er fordert den Westen auf, sein ganzes Selbstvertrauen zusammenzunehmen und die eigenen Werte zu verteidigen, und skizziert, was Europa tun muss, wenn es neben den USA, China und anderen kommenden Mächten noch eine Rolle spielen will. Offenbar hofft er immer noch, den europäischen Spitzenjob eines Tages doch mit weitsichtiger Dynamik zu füllen.

Das Buch hat viele dramatische Stationen wie den Tod Prinzessin Dianas oder die Nordirlandverhandlungen, wird aber von zwei Themen zusammengehalten: Der Dauerauseinandersetzung mit dem Rivalen und, wie wir erstaunt lernen, „New Labour“-Verräter Gordon Brown. Und Blairs Mutation vom Publikumsliebling zum verhassten Kriegsführer. Die Irak-Rechtfertigung bringt nichts Neues. Er bedauert die Opfer, spricht von seinen Tränen, dem „Albtraum“ des Chaos nach der Invasion und (sparsam) den Fehlern, die dazu führten. Die Kriegsentscheidung selbst stellt Blair aber nicht infrage.

Zwei Argumentationsketten laufen hier zusammen, die Blair definieren: Die erste, persönliche, läuft auf eine Theorie von Führung hinaus. Als Essenz seiner staatsmännischen Erfahrung destilliert Blair Lektionen des politischen Muts: neu zu denken; bereit zu sein, zu führen; kalkuliertes Risiko einzugehen; zu wissen, was im Interesse der Bevölkerung das Beste ist, und zu versuchen, das durchzusetzen. Darin liegt auch Blairs Hochachtung für George Bush begründet. An ihm bewundert er „eine Einfachheit, die Ausdruck eines entschlossenen Wesens ist“.

Die zweite Argumentationslinie definiert das moralische Entscheidungssystem als Erkenntnis, dass bestimmte historische Konfrontationen unvermeidlich sind. Beschwichtigung macht alles schlimmer. Allen vier Blair-Kriegen (Sierra Leone, Kosovo, Afghanistan, Irak) sei eine lange Geschichte des Nicht-Intervenierens vorausgegangen, argumentiert Blair. Er bekräftigt seine Doktrin der humanitären Intervention und die Notwendigkeit, das Gute in der Welt mit einer Verbindung von harter und weicher Macht durchzusetzen.

Mit eschatologischer Insistenz sieht Blair auch hinter dem Palästinakonflikt die Auseinandersetzung des Westens und aller wohlmeinender Muslime mit dem „atavistischen“ Islam. Im Kern ist das Buch ein Aufruf, hier die gleiche generationenlange Geduld und Härte aufzubieten, die Faschismus und Kommunismus überwunden hat. Nach Irak und Afghanistan, warnt Blair, ist der Iran das nächste Kapitel, auch wenn er von der Wehrhaftigkeit des Westens keine hohe Meinung zu haben scheint.

Kurios, dass er dann vor der entscheidenden Intervention zurückschreckt. Statt Brown zu feuern, wird er hier zum Beschwichtigungspolitiker. Brown wird zum Verräter an „New Labour“, weil er in der Versöhnung mit den Ambitionen der Mittelschichten, der Erkenntnis, dass der Staat nicht automatisch mit dem öffentlichen Interesse und sozialer Gerechtigkeit gleichgesetzt werden darf, nur als Wahltaktik und nicht Fundament von Labours Macht sieht. Wehmütig seziert Blair den prinzipienlosen Opportunismus, mit dem Brown in drei ziellosen Regierungsjahren Terrain aufgibt, so dass sich David Cameron schließlich als Blairs Erbe etablieren kann.

Blair schreibt in einem kumpelhaften Gesprächston, der wie vom Tonband transkribiert klingt, auch wenn das Buch angeblich handschriftlich verfasst wurde. Andere Passagen scheinen aus einem Führungskräfteseminar zu stammen. Aber es ist ein amüsantes, lesbares und wichtiges Buch geworden. Komische Vignetten zeigen Blairs Blick für das Surreale – die Einladungen der Queen, die Olympiabewerbung der Briten in Singapur, wie der 16-jährige Sohn Euan morgens um zwei Uhr betrunken ins väterliche Bett kriecht. Aber dann ist dies doch ein Handbuch für Wahlsieger, ein bitteres Porträt der Labourpartei, eine Analyse der britischen Gesellschaft um die Jahrtausendwende und ein Aufruf an uns alle, vor der epochalen Herausforderung nach dem Terror von 9/11 nicht schwach zu werden.

Tony Blair: Mein Weg. C. Bertelsmann, München 2010.

784 Seiten, 29,99 Euro.

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