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Abseits vom Alex: Neuerscheinungen zu Döblins Gesamtwerk

Gefeiert vergessen, wiederentdeckt. Zum 50. Todestag des Romanciers Alfred Döblin - Neuerscheinungen zu seinem Gesamtwerk

„Seit über 50 Jahren schreibe ich und habe Bücher über Bücher verfasst. Die gedruckten, die ich besitze, nehmen in meinem Bücherschrank ein breites Fach ein. Da stehen meine Blutsauger, meine Parasiten. Ich wollte mich immer von ihnen befreien, aber gegen ein keimendes Buch ist kein Kraut gewachsen. Und ich konnte sagen, wenn ich mich ganz einer Bitterkeit hingeben wollte: Sie florieren und mich haben sie zur Strecke gebracht.“ Tatsächlich schwingt in diesen Sätzen Alfred Döblins aus dem Jahr 1952 Bitterkeit mit. Döblin war gezeichnet von zwölf Jahren Exil, und die Leser hatten ihn fast vergessen. Seine während der Emigrationsjahre entstandener Zyklus über die November-Revolution 1918 war gedruckt, aber kaum rezipiert worden. Und sein großer „Hamlet“-Roman, den er 1947 abgeschlossen hatte, erschien erst 1956 – in der DDR.

Alfred Döblin erlebte in Deutschland eine „Rückkehr ohne Ankunft“, die Hans Dieter Schäfer in einem schön gestalteten Bändchen beschreibt. 1945 bis 1957 – das sind Jahre großer Enttäuschung: „Und als ich wiederkam, da – kam ich nicht wieder“, notiert Döblin. Er, der im Rang eines französischen Offiziers zurückkehrend das Land in Trümmern vorfand, sah andere Autoren für Aufsehen sorgen. Die Emigration hatte den Arzt und Schriftsteller Döblin aus allem herausgerissen, und die erlittene Zurückweisung stimmte weder mit dem Selbstbild noch mit der Bedeutung überein, die Döblin bis zum Beginn des „Dritten Reiches“ zugekommen war.

Inzwischen aber ist Döblin ein kanonisierter Autor der Moderne, wenngleich sein Ruhm sich vornehmlich auf einen einzigen Roman gründet. „Berlin Alexanderplatz“ aus dem Jahr 1929 machte ihn international bekannt. In ihrem mit faksimilierten Manuskriptseiten angereicherten „Marbacher Magazin 119“ untersucht die Döblin-Biografin Gabriele Sander die Entstehungsgenese des Großstadt- und Montageromans, folgt den Vorstufen und Einflüssen der „Geschichte vom Franz Biberkopf“ und legt dabei Textschicht um Textschicht frei.

„Berlin Alexanderplatz“ ist zwar das berühmteste Buch Döblins, doch nur ein kleiner Ausschnitt aus diesem außerordentlich vielgestaltigen Werk, das etliche umfangreiche Romane, Erzählungsbände, philosophische, religionswissenschaftliche, soziologische und poetologische Schriften umfasst. Döblins Bücher nehmen tatsächlich ein „breites Fach“ ein, und es ist ein Verdienst des Walter Verlags und des Deutschen Taschenbuch Verlags, Döblins Œuvre in vorzüglich kommentierten Ausgaben zugänglich zu machen. Beim Walter Verlag erscheint die kritische Ausgabe der Werke, gerade wurde von Gabriele Sander und Andreas Solbach Döblins früher „chinesischer Roman“ mit dem Titel „Die drei Sprünge des Wang-Lun“ herausgegeben, der erste Erfolg des Autors aus dem Jahr 1915/16.

Wer sich Döblin biografisch nähern will, kann dies mit dem Heidelberger Literaturwissenschaftler Oliver Bernhardt tun. Er hat eine solide Monografie verfasst, die dem didaktischenMuster der „dtv porträt“-Reihe folgt. Für Döblin-Einsteiger empfiehlt sich ein klug zusammengestellter Band von Christina Althen: „Leben und Werk in Erzählungen und Selbstzeugnissen“. Darin aufgenommen ist auch die berühmte Rede von Günter Grass „Über meinen Lehrer Döblin“, die 1967 eine kleine Renaissance einleitete. Am Ende schreibt Grass: „Er wird Sie beunruhigen; er wird Ihre Träume beschweren; Sie werden zu schlucken haben; er wird Ihnen nicht schmecken; unverdaulich ist er, auch unbekömmlich. Den Leser wird er ändern. Wer sich selbst genügt, sei vor Döblin gewarnt.“

Hans Dieter Schäfer: Rückkehr ohne Ankunft. Alfred Döblin in Deutschland 1945–1957. Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2007. 46 Seiten, 10 €.

Gabriele Sander: Tatsachenphantasie. Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2007. 85 S., 9 €.

Oliver Bernhardt: Alfred Döblin. Dtv, München 2007. 187 Seiten, 10 €.

Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-Lun. Chinesischer Roman. Hg. von G. Sander und Andreas Solbach. Walter Verlag, Düsseldorf 2007. 671 S., 54 €.

Alfred Döblin: Leben und Werk. In Erzählungen und Selbstzeugnissen. Hg. von Christina Althen. Artemis & Winkler 2006. 219 S. 19,90 Euro.

Alfred Döblin: Das gefährlichste Organ des Menschen ist der Kopf. Lebensweisheiten. Hg. von Christina Althen. Dtv, München 2007. 156 S. 6 €.

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