zum Hauptinhalt

Alfred Kurella: Porträt eines Doppelzünglers

Wie war aus dem Beinahe-Opfer Stalins Alfred Kurella ein strammer DDR-Stalinist geworden? Martin Schaad hat sich auf die Spuren begeben. Eine Rezension

"Fabelhafte Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella“ verspricht uns Martin Schaad – Historiker und stellvertretender Direktor des Einstein Forums Potsdam – mit seiner biografischen Spurensuche in den Moskauer Jahren des Mannes, der in der DDR als Leiter der Kulturkommission beim Politbüro „die Literaten, Maler und Theaterschaffenden der jungen DDR drangsalierte“. Das bestreitet nicht einmal Hermann Kant, der ihn als „wirklich mächtigen Mann“ erinnert, aber zum „kulturpolitischen Unwesen“ der Ulbricht-Ära zählt.

Noch deutlicher äußerten sich seine Opfer: Für Hans Mayer, dem Kurella „Aristokratismus“ vorwarf, war er der „Großinquisitor“ und „Mann Moskaus unter den Deutschen“. Seine späte Rückkehr aus der Sowjetunion nährte die – nicht nur Mayers – Vermutung, er sei dort „ein wichtiges Mitglied des Geheimdienstes“ gewesen und habe deshalb nur mit einer dienstüblichen Sicherheitsfrist von fünf Jahren nach Deutschland zurückkehren dürfen.

Bei seinem Tod 1975 war davon keine Zeile geschrieben

Wie passt das mit der Tatsache zusammen, dass Kurellas Bruder Heinrich im „Großen Terror“ Stalins verhaftet und ermordet wurde und dass er selbst zeitweilig als „Doppelzüngler“ kaltgestellt war? Immerhin war er in den frühen 30er Jahren persönlicher Sekretär Georgi Dimitroffs vor dessen Berufung als Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern). Kurellas Hoffnung, an der Seite seines Chefs aufzusteigen, zerschlug sich, als er der Teilnahme an einem „parteischädlichen“ Treffen alter Freunde aus der Kommunistischen Jugendinternationale beschuldigt wurde. Seine offensive, aber als solche ungeschickte Verteidigung bewirkte nur, dass selbst Dimitroff ihn fallen ließ und auch seine verspätete Selbstkritik erfolglos blieb. Er musste schon froh sein, dem Schicksal seines Bruders zu entgehen und die Kriegsjahre als Redakteur und Propagandist an der Front zu erleben. Seit Kriegsende lebte er einige Jahre im Kaukasus, bevor er 1949 als Übersetzer und Publizist nach Moskau – und 1954 in die DDR – zurückkehren durfte. Doch wie war aus einem Beinahe-Opfer Stalins ein strammer künftiger DDR-Stalinist geworden?

Leider kann Martin Schaad dazu nicht mit „fabelhaften Bekenntnissen“ Kurellas aufwarten, der zwar wiederholt mehrbändige Memoiren ankündigte und dafür sogar Druckpapier reservieren ließ. Aber bei seinem Tod 1975 war davon keine Zeile geschrieben. Als autobiografisch kann allein seine Erzählung „Unterwegs zu Lenin“ (1967) gelten, die seine kurze Begegnung mit Lenin als Überbringer von Briefen deutscher Genossen schildert. Auch das war kein wirklich offenes Bekenntnis, denn Kurella verschwieg darin den wahren Absender dieser Parteipost: Paul Levi, damals Vorsitzender der KPD. Aber weil Levi schon 1921 zur SPD zurückkehrte, war seine Erwähnung in der DDR unerwünscht – so unerwünscht wie Franz Kafka, dessen Roman „Der Prozess“ auch als Vorahnung und Metapher auf Stalins Prozesse gelesen werden konnte. Mit einer Polemik gegen ihn hat sich Kurella unsterblich lächerlich gemacht: Er verglich Kafka mit einer Fledermaus, „die tagsüber mit dem Kopf in düsteren Korridoren hängt“, statt zur Morgenröte des Sozialismus aufzublicken.

Schaut Walter Berger an: Das ist aus mir geworden!

Und doch: Es gibt sie, die „fabelhaften Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella“. Martin Schaad entdeckt sie in einem Schlüsselroman Kurellas aus den 30er Jahren in Moskau: „Die Gronauer Akten“, der erst in der DDR 1954 (und noch in mehreren Auflagen) erscheinen konnte. Die kolportagehafte Mordgeschichte spielt in Nazi-Deutschland und schildert die Wandlungen des idealistischen Nazis und Kriminalbeamten Günther Geismar, der den Mord an einem SA-Mann aufklären soll und statt des tatverdächtigen Kommunisten einen adeligen Großgrundbesitzer überführt, der aber von der SS gedeckt wird. Während der Ermittlungen befreundet sich Geismar mit dem Hauslehrer des Gutsherrn, der als geheimes KPD-Mitglied Flugblätter der Partei beschafft und sich des tatverdächtigen Genossen als Boten bedient hatte. Als dieser den Gutsbesitzer als den wahren Mörder erkennt und die Partei zu warnen versucht, wird er von SS-Männern erschlagen, die auch Geismar und den Hauslehrer als Mitwisser ihrer Tat beseitigen wollen. Doch die beiden können getrennt entkommen und untertauchen – der Kommunist ins Ausland, der desillusionierte Nazi in eine zynische zweite Existenz als KZ-Kommandant.

Dass sich in beider Lebensgeschichten ein doppeltes Selbstporträt des Autors Kurella verbirgt, ließ sich längst vermuten: Kurella war vor seinem KPD-Beitritt in der bündischen Jugend aktiv gewesen und warb 1918 mit dem „völkischen“ Jugendführer Frank Glatzel für den Anschluss an die „Freideutsche Jugend“. Auch Züge Glatzels sind in die Gestalt des „idealistischen“ Nazis Geismar eingegangen, dem Kurella mit dem Hauslehrer Walter Berger sein kommunistisches Alter Ego zur Seite stellt. Das schizophrene Bekenntnis zu seinem gebrochenen Lebenslauf deutet Schaad einleuchtend als Selbstkritik und Selbstbehauptung vor der Moskauer Partei-Inquisition, der Kurella mit seinem Roman zuruft: Schaut Günther Geismar an: Das hätte aus mir werden können! Schaut Walter Berger an: Das ist aus mir geworden!

Martin Schaad: Die fabelhaften Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella. Eine biografische Spurensuche. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 182 Seiten, 22 Euro.
Martin Schaad: Die fabelhaften Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella. Eine biografische Spurensuche. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 182 Seiten, 22 Euro.

© Hamburger Edition

Es sind, wie Schaad herausarbeitet, noch weitere Anspielungen und Bekenntnisse Kurellas in den „Gronauer Akten“ versteckt – Anspielungen auf die mittelalterliche Hexen-Inquisition (in Gronau, nicht in Moskau) und auf eine intrigante Moskauer Genossin, die er bei Dimitroff des geistigen Diebstahls beschuldigte: Die Gronauer Mordakte trägt ihren Namen, „Akte Keith“. Kurella hoffte offensichtlich, mit den offenen und verdeckten Signalen seines Romans, der in Aufbau und Schreibweise geradezu sklavisch die jüngsten Reden Dimitroffs über Sozialistischen Realismus und die ästhetischen Leitsätze seines Lieblingsautors Nikolai Tschernyschewski aufgriff, die Gunst seines alten Chefs zurückzugewinnen. Er sparte auch nicht mit verdeckten Schmeicheleien für Dimitroffs Rolle in dessen Leipziger Prozess. Es ging nicht um Literatur, sondern ums politische Überleben.

Wie ihm das gelang – jedenfalls nicht mit diesem Roman –, bleibt auch bei Schaad noch offen. Dimitroff, der Kurella nicht gänzlich fallen gelassen, sich aber von ihm distanziert hatte, hat ihn weder zurückgeholt noch auch nur das Romanmanuskript gelesen. Danach, man schrieb das Jahr 1936 und in der Presse des Westens über den „Moskauer Hexenprozess“ gegen Grigori Sinowjew, wagte auch kein sowjetischer Verlag ein Buch zu drucken, „in dem von Folterungen, fabrizierten Beweisen, erpressten Geständnissen und Todesurteilen die Rede war“. Das Buch wurde zwar nach Dimitroffs Tod in der DDR gedruckt, aber die Enthüllung seiner Hintergründe wäre einem Bekenntnis gleichgekommen, das Kurella wohl nicht einmal seinen Memoiren anvertraut hätte. Vielleicht sind sie deshalb ungeschrieben geblieben.

Martin Schaad: Die fabelhaften Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella. Eine biografische Spurensuche. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 182 Seiten, 22 Euro.

Hannes Schwenger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false