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Aufbau-Verlag: Der große Unbekannte

Kreativ ist sein Lieblingswort: Der neue Aufbau-Verleger und ehemalige Lehrer Matthias Koch stellt sich in Berlin vor

Nach gut 40 Minuten steht Bernd Lunkewitz auf. Er will zum Flughafen, er muss nach Frankfurt, zur Buchmesse, jetzt. Das müssen im Augenblick viele. Aber auf der Messe erwartet ihn keiner mehr. Der Pressetermin des Verlages am Mittwochmorgen wird ohne ihn stattfinden. Und die Mitarbeiter und Gäste des einst realsozialistischen Aufbau-Verlags werden zum ersten Mal nach so vielen Jahren nicht mehr in seine Frankfurter Millionärsvilla strömen. Die feiern jetzt ihre eigene Party.

„Ich danke allen, es war richtig gut. Es sind noch eine Menge Fragen offen. Aber der Vorhang fällt. So ist das“, sagt der Nicht-mehr-Verleger und steht noch immer viel gerader als seine Sätze. Hier in den Räumen der Berliner Anwaltskanzlei von Joachim Voigt-Salus hat er am Montag um zwei Uhr nachts den Aufbau-Verlag verkauft, der ihm siebzehn Jahren gehörte – und zugleich nicht gehörte. Deshalb hat er ihn auch nicht alleine verkauft, sondern mit unterzeichnet hat – nach einem Vergleich – der Insolvenzverwalter der Verlagsgruppe, der Aufbau ebenfalls seit siebzehn Jahren gehörte und zugleich nicht gehörte. Ein Stück deutsch-deutscher Treuhand-Vereinigungsgeschichte, nie ganz aufklärbar. Deshalb – das hat auch Lunkewitz zuletzt eingesehen – sei es höchste Zeit, Klarheit zu schaffen. Wenigstens für den Verlag.

Diese neue Durchsichtigkeit formuliert der dritte Unterzeichner so: „Zum ersten Mal seit der Wende ist klar, wem der Aufbau-Verlag gehört, nämlich mir.“ Aber wer ist das? Noch ist Matthias Koch unter Buchmenschen nirgends aufgefallen. Auch sonst eigentlich nicht. Obwohl er als Deutschlehrer durchaus eine gewisse Buchnähe besitzt. Aber niemand muss einen Deutsch- und FranzösischLehrer aus Mülheim an der Ruhr kennen. Koch hat dort an einer Gesamtschule und an einem Duisburger Gymnasium unterrichtet.

Matthias Koch, Jahrgang 1943, ist nur wenig älter als Lunkewitz, Jahrgang 1947. Er tritt wie jener in dunklem Anzug auf, statt eines weißen Hemds trägt der neue Verleger ein tiefschwarzes. In diesen Tagen will man nicht unbedingt mit einem Banker verwechselt werden, schon gar nicht als Eigenkapital-Zahler mit mehrmals geprüften Kontoauszügen. Existentialisten-Schwarz hat in Literatenkreisen fast die Wirkung einer vertrauensbildenden Maßnahme.

Koch kommt gerade aus dem Aufbau-Verlag am Hackeschen Markt. Er hat sich den Mitarbeitern als neuer Eigentümer vorgestellt, und dort reagierte man – sagt eine Lektorin – mit sanfter, gleichwohl bestimmter Euphorie. Um ein Haar hätte ein herrenloser quasi-insolventer Verlag sein neues Programm auf der Buchmesse vorgestellt. Aber was für einer: Alle haben gearbeitet, als sei nichts geschehen. Kein Mitarbeiter hat das kenternde Schiff verlassen, kein Autor seine Rechte zurückgezogen, die Vertreter sind gereist wie immer, die Druckerei hat gedruckt wie immer. Koch hat den Aufbau-Mitarbeitern gesagt, dass ihn diese Moral beeindruckt habe. Das sei ein Motiv für seine Entscheidung gewesen. Aber warum haben sich die beiden Verkäufer für ihn entschieden?

Interessenten, sagt Joachim Voigt-Salus, hat es mehrere gegeben, auch Mitbewerber vom Buchmarkt. Ziel sei aber gewesen, die Souveränität des Verlags und die Stellen seiner Mitarbeiter zu erhalten. Bei allen anderen Konzepten hätte mehr als die Hälfte gehen müssen. So werden nur acht der 65 Stellen abgebaut. Es gibt nicht mehr viele selbständige Buchverlage in Deutschland, schon gar nicht in dieser Größe.

Koch, in Dresden geboren, ist unter anderem Teilhaber eines Familienunternehmens von Ruhrgebietsflüchtlingen, die beschlossen haben, in die Berliner „Kreativindustrie“ zu investieren. Es gelingt dem früheren Deutschlehrer, das Wort „Kreativindustrie“ ganz ohne Vorbehalt auszusprechen, dabei besitzt er eine fast so verwegen gebogene Oberlippe wie Marcel Reich-Ranicki, grenzenlos begabt zu jeglichem Ausdruck der Reserve. Aber Koch mag Worte, die mit „kreativ“ anfangen. Darum habe seine Familie schon an ein „Kreativhaus“ – ein Kulturkaufhaus – gedacht, als Aufbau noch gar nicht Insolvenz angemeldet habe. Aber dass eine Buchhandlung und ein Verlag in ein solches Kaufhaus müssten, war ihm von Anfang an klar. Und den Verlag habe er nun. Das Kreativ-Haus noch nicht ganz: Das Bechsteinhaus am Moritzplatz soll es werden. Was den Insolvenzverwalter veranlasst, den künftigen Standort des Aufbau-Verlages genauer zu definieren: „die autonome kreative Republik Kreuzberg“.

Dass Aufbau aus Mitte wegziehen muss, ahnte der Verlag, als der eigene Verleger ihm im Mai auch das Haus kündigte. Und mehr als aus dem Verkauf des Verlags wird Lunkewitz wohl aus dem Verkauf der Immobilie einnehmen. Schließlich hat er mit Immobilien seine Millionen gemacht. Und überhaupt habe er gewonnen: „Die Amerikaner haben den Krieg im Irak auch gewonnen. Es hat nur eine Menge Geld gekostet. So war es hier auch“, erklärt Lunkewitz, der seinen Verlag insgesamt sechs Mal gekauft habe und alle sechs Male aufzählen kann, mit Stolz und ungewohnter Selbstironie.

Dass dafür keiner verantwortlich sein will, wird er nicht hinnehmen. Der Kampf geht weiter, sagt der einstige Linksradikale, der die Rote Fahne aus seinem Verlegerzimmer wohl schon längst abgeholt hat. Aber über die Leiche des Verlags, auf den er einmal stolz war, wollte er zuletzt doch nicht mehr gehen.

Erst einmal sei er nur Eigentümer, Verleger müsse er noch werden, hatte Koch betont. Ein einziges Mal wendet sich Lunkewitz nun direkt an den Neuen: Sie haben einen Verlag gekauft! Sie sind der Verleger!

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