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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Frömmelndes Eiapopeia

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10.) Cecilia Ahern: Zeit deines Lebens (Deutsch von Christine Strüh, Krüger-Verlag, 362 Seiten, 16,95 €)

Ein guter Satz findet sich ja in diesem Roman von Cecilia Ahern, und zwar auf Seite 143: „Sinn und Verstand waren mit den Rauchern nach draußen gegangen, und da standen sie und fröstelten, überlegten, ob sie ein Taxi rufen sollten, sahen sich aber gleichzeitig nach jemandem um, der sie mit nach Hause nehmen und nett zu ihnen sein würde.“ Nur leider muss sich jener Satz in diesem penetrant moralisierenden Buch über einen Engel, der das Leben eines karrierefixierten Kapitalismusmonsters in die richtige, und das heißt bei Cecilia Ahern natürlich in kleinfamilientaugliche Richtung umzusteuern trachtet, einsam, sehr einsam fühlen. Im Grunde mutterseelenallein.

9.) Sabine Ebert: Blut und Silber (DroemerVerlag, 731 Seiten, 19,95 €)

Aufregend, bunt und faszinierend war die Zeit am Ende des 13. Jahrhunderts für die Menschen in Deutschland – nur nicht in dieser endlos öden und in armseligem Stammelsprech verfassten Mittelalterschwarte. Sabine Ebert schreibt nicht über Menschen, sondern über Plastikritter, die in Plastikburgen wohnen und Plastiksätze sagen wie: „Verzeiht, Schönste, aber ich habe meine Pflicht zu tun“ oder: „Nimm das für meine toten Freunde!“

8.) Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht (Kiepenheuer & Witsch, 347 Seiten, 19,95 €)

Durch eine Gehirnblutung verliert Helene Wesendahl Sprache und Gedächtnis. Mühselig kämpft sie sich in ihr altes Leben zurück, an ihrer Seite der sie liebevoll umsorgende Ehemann – bis wir Leser erfahren, dass Helene aus guten Gründen im Begriff stand, diesen Ehemann zu verlassen. Ein psychologisch raffinierter, grandios konstruierter Roman über Betrug, Verlassen und Verlassenwerden, zu Recht in diesem Herbst mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

7.) Volker Klüpfel, Michael Kobr: Rauhnacht (Piper-Verlag 368 Seiten, 17,95 €)

Im Heimatmuseum der Gegenwart könnte dieser Allgäuer Kriminalhauptkommissar Kluftinger als Allegorie der Bodenständigkeit durchgehen: dumpf, aber herzensgut, ungeschlacht, aber bemüht, ein geläuterter Kleinbürger mit einem Generalverdacht gegen alles Hochgestochene, Abgehobene. Kluftingers jüngster Fall ist ein recht netter Hotelkrimi, nur leider ganz wie er: letztlich arg harmlos.

6.) William Paul Young: Die Hütte (Deutsch von Thomas Görden, Allegria-Verlag, 301 Seiten 16,90 €)

Niemand Geringeres als Gottvater, Jesus und der Heilige Geist persönlich trösten in diesem elenden Roman einen Mann namens Mack, dessen Tochter Missy ermordet wurde. Widerwärtig frömmelndes Eiapopeia in amerikanisch-evangelikaler Spielart.

5.) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen-Verlag, 788 Seiten, 19,90 €)

Zu den vornehmsten Aufgaben der Literatur zählt die Bannung unserer Todesangst. Vermeintlich erzählt das fade Finale dieser mormonischen Vampirsaga von der erfüllten Liebe zwischen dem Menschenmädchen Bella und dem schönen Blutsauger Edward. Tatsächlich schildern diese ästhetisch völlig indiskutablen Romane die Liebe einer narzisstischen Persönlichkeit zu der Idee, niemals zu sterben.

4.) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Abendrot (Deutsch von Sylke Hachmeister, CarlsenVerlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Am Ende dieser Schwarte weiß der erschöpfte Leser, warum „untot“ das Gegenteil von lebendig ist.

3.) Herta Müller: Atemschaukel (HanserVerlag, 304 Seiten, 19,90 €)

Die neue deutsche Literaturnobelpreisträgerin erzählt in „Atemschaukel“ erschütternd vom Schicksal der 60 000 Rumäniendeutschen, die im Januar 1945 in sowjetische Arbeitslager verschleppt wurden und dort die Zeche für die Verbrechen der Nazis bezahlen mussten. Dieses Buch hat eine Debatte ausgelöst: Ist es legitim, wurde gefragt, in einer so wunderschönen Sprache über die Schrecken der Lager zu schreiben? Man muss nicht, aber man darf: Gerade so teilt sich besonders intensiv eine historische Erfahrung mit, die Anfang des 21. Jahrhunderts zu wenige Deutsche kennen.

2.) Frank Schätzing: Limit (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1328 Seiten, 26 €)

Ein Fahrstuhl zu den Sternen, ein Hotel auf dem Mond, ein globaler Wettlauf um die wichtigste Energieressource des Sonnensystems: Frank Schätzing gelingt in seinem im Jahr 2025 spielenden Wissenschaftsthriller einmal mehr schwerelose, aber keineswegs leichtgewichtige Unterhaltung.

1.) Dan Brown: Das verlorene Symbol (Deutsch vom Bonner Kreis, Lübbe-Verlag, 768 Seiten, 26 €)

Skrupellose Killer, die sich als verlorene Söhne entpuppen, die amerikanischen Freimaurer, deren Mysterien so aufregend sind wie die geheimen Protokolle der Katzenhilfe Lüdenscheid, und schließlich noch die Propagierung der sogenannten noetischen Wissenschaft, die ein anderes Wort für Scharlatanerie ist: Dan Browns drittes Buch mit dem Symbologen Robert Langdon ist so fad und überraschungslos wie eine Mahlzeit in einer amerikanischen Imbisskette.

 (Die nächste Sendung gibt es heute, 29. November, 23 Uhr 35. Gäste: Mohammed bin Rashid al Maktoum, Johanna Maier, Vincent Klink).

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