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Bericht aus Saudi-Arabien: Party gegen Frustration

Das Land, das verschlossen bleibt

Ein 44-jähriger Saudi-Araber sitzt in seinem Wohnzimmer in Dschidda und spricht mit der „Spiegel“-Journalistin Susanne Koelbl. Khalid al Hubaischi, einst Bombenausbilder von Osama bin Laden, arbeitet heute als Elektriker, ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Nachdem er aus Guantanamo freigelassen wurde, hat er ein Resozialisierungsprogramm für ehemalige Terroristen absolviert. Während des Gesprächs kommt Khalids Frau ins Zimmer und fragt erstaunt: „Wer ist denn Osama bin Laden?“

Raus aus dem Öl

Die Szene spiegelt die Widersprüche des heutigen Saudi-Arabien, die die Auslandsreporterin Susanne Koelbl in ihrem Buch „Zwölf Wochen In Riad“ dokumentiert. Veraltete religiöse Lebensregeln, wie das Ausschließen von Frauen aus der Öffentlichkeit und das Verbot fast jeglicher Form von Kunst und Unterhaltung, kollidieren hier mit dem Wunsch, aus der Abhängigkeit vom Öl herauszukommen und dem Land eine neue Existenzgrundlage zu geben. Seit Kronprinz Mohammed bin Salman im Sommer 2017 an die Macht kam, verändert sich die saudische Gesellschaft rasant. Mit seinem Strategieplan „Vision 2030“ will „MBS“ Saudi-Arabien in ein Schlaraffenland für Touristen verwandeln. Gleichzeitig soll eine Religionsreform hin zu einem „liberalen“ Islam stattfinden. Doch immer noch werden Aktivisten beim geringsten Anlass eingesperrt und ideologisch nicht genehme Landsleute ermordet. Das prominenteste Beispiel dafür ist der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi.

"Scheidungspartys"

Susanne Koelbl fragt sich immer wieder: „Wie will ein Land, das mittelalterliche Folter ausübt und Frauen unterdrückt, gleichzeitig eine moderne Wirtschaftsnation werden?“ Es ist beeindruckend, wie viele verschlossene Türen sich dabei für sie öffneten. Unter anderem begegnet man königlichen Persönlichkeiten, vom ehemaligen Militärpiloten Oberst Hassan, der der Autorin eine Wohnung in Riad vermietet und sie zum Islam zu bekehren versucht, bis hin zum langjährigen Diplomaten in Washington, Prinz Bandar bin Sultan, der bei weltpolitischen Krisen immer wieder eine entscheidende Rolle spielte. Auch ganz normale saudische Bürger kommen zu Wort: Frauen, deren Lieblingsbeschäftigung neuerdings „Scheidungspartys“ sind, Künstler und junge Männer, die an Straßenrennen teilnehmen, um ihrer Frustration Luft zu machen, tiefgläubige Wahhabiten, die überzeugt sind, dass Frauen ihre Fruchtbarkeit verlieren, wenn sie Auto fahren.

Wie wäre sie selbst?

Manche Wiederholungen stören: Man kann dem Leser Khashoggis Schicksal nicht mehrmals präsentieren. Zu kurz kommt dafür eine Antwort auf die Frage, die sie zu Anfang stellt: wie es sie selbst verändern würde, wenn auch sie verhüllt auftreten müsste. Dies tut die saudi-arabische Aktivistin Manal al Sharif in ihrem 2017 erschienenen Bericht „Losfahren“ sehr viel besser.

Susanne Koelbl: Zwölf Wochen in Riad. Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch. DVA, München 2019. 320 S., 22 €.

Nina Branner

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