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Fadanelli

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Berliner Literaturfestival: Mörder im Moloch

Stadt-Geschichten: Guillermo Fadanelli liest heute beim Literaturfestival in Berlin. Sein Blick auf Mexico-City zeichnet ein düsteres Bild vom Großstadtleben in seiner Heimatstadt.

Guillermo Fadanellis Mexico-City ist eine graue, versiffte Prärie, ein dreckiges, gefährliches Pflaster voll beißender Gerüche und fauliger Bäume, gesäumt von in schrillen Farben gestrichenen Gebäuden, von Spielsalons, Absteigen und billigen Cafés, und darin die Lokalmatadore, die Drogendealer, Nutten, Straßenköter und sich selbst überlassenen Jugendlichen – ein Labyrinth, aus dem es kein Entkommen gibt, gezeichnet mit rauem Kohlestrich und versehen mit einer schier barocken Fülle an Bildern der Vergänglichkeit und des Verfalls, prunkende Vanitas-Blüten auf einer stinkenden Müllhalde.

Das Viertel von Mexico-City, das Guillermo Fadanelli in seinem kurzen, beeindruckend dichten Roman „Das andere Gesicht Rock Hudsons“ (Matthes & Seitz) beschreibt, kennt er in und auswendig, hier wurde er 1963 in der 25 Millionen Einwohner zählenden Megalopolis geboren, hier wuchs er auf, in einer Welt, wo das Schicksal für die Menschen nur zwei Möglichkeiten bereithält: Überleben oder Absturz in die Gosse – ein Kampf, den nur besteht, wer die Regeln diktiert. So wie in Guillermo Fadanellis Buch der 37-jährige Johnny Ramírez, ein Drogendealer, Räuber und Auftragsmörder, ungekrönter Herrscher über das Viertel.

Im Hotel Orizaba, einer Absteige, hat er sein Quartier, hier bewohnt er gemeinsam mit seiner Schwester Rebeca ein lausiges Zimmer, von hier aus überblickt er die Straße und bricht zu seinen Streifzügen auf, immer auf der Hut und jede Gefahr im Voraus bedenkend, eine lautlose Hyäne, die mit Vorliebe nachts ihre Beute reißt. Schranken kennt Johnny keine. Und doch folgt er Prinzipien, denn er „tötete nie, wenn er nicht überzeugt war, irgendetwas Gutes zu tun.“

Für Guillermo Fadanelli, der in diesem Jahr als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Berlin lebt, ist Johnny eine Art moderner Franz Biberkopf. Wenn die „allgemeinen humanistischen Werte“ hier auch keine Geltung haben, sagt er, so existiert doch eine eigene „lokale Moral“, ein klarer Begriff davon, was gerecht ist, ein Bewusstsein dafür, dass man sich nur auf sich selbst verlassen darf. Den Jugendlichen des Viertels flößt der finstere Johnny Angst und Bewunderung ein. Vor allem dem Ich-Erzähler des Romans, der 15 ist, als er ihn zum ersten Mal sieht. Hin und her gerissen zwischen Fluchtinstinkt und Faszination, gerät er immer mehr in Johnny Ramírez’ Bann.

Umgeben von Armut, Tristesse, kaputten Häusern und überarbeiteten Eltern wirken die Dealerjobs, die Johnny anbietet, wie ein Ausweg aus der schäbigen Kindheit. Zu spät merken sie, dass ihnen keine andere Möglichkeit bleibt, als das Leben, aus dem sie ausbrechen wollten, in einem ewigen Kreislauf fortzusetzen. Fadanellis Urteil ist eindeutig: Solange in Mexiko nichts gegen die extremen Unterschiede zwischen Arm und Reich unternommen, solange nicht das politische System reformiert und die soziale Absicherung der Bürger verbessert wird, wird sich nichts ändern. Die Kinder werden als nächste Johnny Ramírez das Viertel regieren oder sich kaputtarbeiten in Leben, die so kurz sind, als machten die Menschen nur einen „kleinen Spaziergang außerhalb ihres Grabes“.

Darauf kam es Guillermo Fadanelli mit seinem von Sabine Giersberg ausgezeichnet übersetzten Buch an: über eine Welt zu schreiben, in der „die Erinnerung gewöhnlich neben dem Körper begraben“ wird, über eine Gesellschaft ohne Gedächtnis, die in einer ewigen Gegenwart lebt, über ein Land, in dem 1910 mit der Mexikanischen Revolution der erste soziale Aufstand des 20. Jahrhunderts stattgefunden hat, ohne dass dies eine nennenswerte Verbesserung der Lebensverhältnisse zur Folge gehabt hätte – und zu zeigen, dass eine Gesellschaft ohne Erinnerung auch keine Zukunft hat. Der Gewalt und Korruption im Lande setzt Guillermo Fadanelli, der seit 1991 sieben Romane und drei Erzählbände veröffentlicht, hat, auf eigene Weise etwas entgegen: Gemeinsam mit seiner Frau Yolanda, einer Tänzerin, gibt er seit 20 Jahren das anarchistisch und dadaistisch geprägte Stadtmagazin „Moho“ für Kunst und Literatur heraus; und er hat vor zwölf Jahren den gleichnamigen Verlag gegründet, mit dem er Autoren unterstützt, die eine originäre Stimme haben – so wie Guillermo Fadanelli selbst, der einer der wirklich großen lateinamerikanischen Autoren der jüngeren Generation ist.

Guillermo Fadanelli liest heute um 18.15 Uhr beim Literaturfestival im Haus der Berliner Festspiele.

Katharina Narbutovic

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