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BMW Verkaufsraum in Berlin.

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Biographie von Camillo Castiglioni: Der Haifisch

BMW-Chef, Mäzen und Lebemann: Reinhard Schlüter über den Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni. Eine Rezension.

Camillo Castiglionis Biographie bildet einen Stoff, der nach filmischer Inszenierung schreit: Ein technikbegeisterter junger Mann aus Triest, der sich noch in der k.u.k.-Monarchie zum Direktor der österreichisch-amerikanischen Gummiwerke emporgearbeitet hat und zum Großlieferanten des Kriegsministeriums avanciert ist. Seine eigentliche Zeit begann indes, als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Wirtschaft am Boden lag, Reparationsleistungen die Ententemächte zur Ader ließen, und es für die Produktion allenthalben an Kohle und Rohstoffen fehlte. Vor diesem Hintergrund entfaltete Castiglioni als Finanzjongleur und Hasardeur einen siebten Sinn für Erfolgsgeschäfte. Was er anpackte, schien zu gelingen. Er stieg zum Konzernherrn und Bankier auf. Schon 1921 eroberte Castiglioni die Motorenbau-Abteilung der Bayerischen Motorenwerke zurück und bereitete konsequent die Übernahme von BMW als Mehrheitsaktionär vor. Castiglioni liebte den Luxus und den großen Auftritt. Er wurde, wie er in der zeitgenössischen Presse treffend charakterisiert wurde, zum „Typus einer Zeit, die wie kaum eine andere die Welt aus den Angeln gehoben, die Menschen sozial umgeschichtet, alte Größen gestürzt und neue auf den Schild gehoben hat“.

Die Grenze zu Übertreibung und Geschmacklosigkeit war bei Castiglioni fließend

Castiglioni wirkte als Mäzen, er rettete die Salzburger Festspiele vor dem Ruin, förderte Max Reinhardt und finanzierte das Theater in der Josefstadt, er beschwerte sich erst, als dort ein Bühnenstück zur Aufführung kam, in dem er zum Gespött des Publikums persifliert wurde. Die Grenze zu Übertreibung und Geschmacklosigkeit war bei Castiglioni fließend, er polarisierte, verkörperte den Typus des Kriegsgewinnlers, wurde als „Inflationskönig“ apostrophiert und von einer antisemitischen Journaille als „Finanzjude“ diffamiert. Es passte in dieses Bild, dass auch seine Eheschließung mit der Burgschauspielerin Iphigenie Buchmann als strategische Eroberung gedeutet wurde, nachdem sie Castiglioni und das Wiener Publikum als weibliche Hauptrolle in George Bernard Shaws „Cäsar und Cleopatra“ elektrisiert hatte. Als Castiglioni seinen Zenit überschritten hatte und er mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten schon als Typus nicht mehr in die Zeit zu passen schien, verließ ihn seine Frau Anfang der 1930er Jahre, um in Hollywood ihre Karriere fortzusetzen und ihn durch einen neuen Lebensbegleiter zu ersetzen. Die folgenden Jahre verbrachte Castiglioni auf dem Rückzug, zunächst in seine Heimatstadt Triest. Seine Grundlseer Villa, einst Ort rauschender Feste, wurde versteigert. 1939 folgte der Gang ins Exil in die Schweiz, im Sommer 1943 als letzte Station, und jetzt mit gefälschten Papieren, der Rückzug in den Zwergstaat San Marino, wo er in seinem Versteck bis zum Kriegsende 1945 unbehelligt blieb. Ein letzter Versuch nach dem Krieg, in der Finanzwelt als Berater des jugoslawischen Staatschefs Tito erneut Fuß zu fassen, blieb nicht mehr als ein kurzes Intermezzo. Zurückgezogen verbrachte Castiglioni als eine aus der Zeit gefallene Figur die letzten Jahre in seiner römischen Stadtwohnung, wo er, 79-jährig, im Dezember 1957 verstarb.

Eine atemberaubende Lektüre

Reinhard Schlüter ist nicht der erste, der Castiglionis Leben zum Gegenstand der Beschreibung gemacht hat. Mit flüssiger Feder jagt er, fast stakkatoartig, dessen Lebensstationen nach: eine atemberaubende Lektüre, doch die Frage, was bei Castiglioni Inszenierung, Schauspiel, Kalkül, und was aufrichtiges Motiv gewesen ist, was diesen rätselhaften Cliché-Finanzjongleur im Innersten angetrieben hat und ihn zu einem der ganz großen, auch verkannten Mäzene der 1920er Jahre werden ließ, bleibt unbeantwortet. Castiglionis Biographie, sein Aufstieg und Fall, seine Technikbegeisterung, sein Wagemut und sein sicherer Instinkt, vor allem aber die lebenslange Verbindung mit Künstlern und Kultur, dies waren auch die Ingredienzen, die der kurzlebigen Republik von Weimar zu ihrem goldenen Zeitalter verholfen haben: so kometenhaft-kurzlebig, ja rauschhaft, wie dieses war, wurde es zum Vorboten der dunklen Zeit danach.

Reinhard Schlüter: Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni. Zsolnay Verlag, Wien 2015. 335 Seiten, 24,90 Euro.

Ulrich Schlie

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