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Buchkritik: Necla Kelek: Ein Hoch auf Atatürk

Auf ihrer „Himmelsreise“ wettert die islamkritische Soziologin Necla Kelek gegen Religiosität jeglicher Couleur.

Die Wirklichkeit ist selten schwarz-weiß, sondern meistens bunt. Das gilt auch für das Leben von türkischen und arabischen Einwanderern in Deutschland. Die Soziologin Necla Kelek lässt nicht mal Grautöne zu. So war es in ihren vorherigen Studien. So ist es diesmal. Das neue Buch „Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam“ bündelt ihre Islamkritik und zeichnet ein Bild dieser Glaubensgemeinschaft, das so schwarz ist wie der Tschador, den die Musliminnen in Berlin-Neukölln angeblich alle tragen: Muslime sind zurückgeblieben, frauenfeindlich und gewalttätig. Sie zwingen ihre Töchter in Ehen und ihre Söhne zu Ehrenmorden. Sie schwören Blutrache und wollen die Welt beherrschen. Und zwar schon bald, Achtung: „Die Islamisierung Europas ist bereits eine ’materielle Gewalt’“, schreibt Kelek.

Wer das anders sieht, ist für Kelek ein Lügner, Schönredner oder schlichtweg ein naiver Trottel wie der frühere Bundespräsident Roman Herzog oder Ex-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Schon allein das Bestreben, etwas verstehen zu wollen, ist für die Autorin eine schlimme Sache. „Im harten integrationspolitischen Alltag ist eine solche ’verstehende’ Haltung faktisch eine Kapitulationserklärung“, heißt es in der Einleitung.

Aber um wen geht es eigentlich in dem neuen Buch? Wer sind die „Wächter des Islam“? Die Vertreter der muslimischen Verbände? Geistliche? Die Türken in Kreuzberg? „Es gibt in Deutschland eine große Gruppe aus der Türkei stammender Migranten, die sich hier eingerichtet und sich für Deutschland als Heimat entschieden hat“, schreibt Kelek. Doch diese Gruppe interessiert sie nicht. Ihr geht es um „einen anderen Teil“ der hiesigen Muslime, um diejenigen, die „seit Jahrzehnten in Deutschland ansässig und dennoch hier nie heimisch geworden“ sind. Diese Gruppe, das seien die gläubigen Muslime, schreibt Kelek. 50 Seiten weiter sind aus den gläubigen Muslimen „aktive“ Muslime geworden, die den Koran wortwörtlich nehmen und deshalb ihre Frauen vergewaltigen, die Kinder missbrauchen und die Töchter in den Selbstmord treiben. Doch was unterscheidet einen gläubigen von einem aktiven Muslim? Kelek lässt es offen. Wieder ein paar Seiten weiter sind aus den Gläubigen und Aktiven die „muslimischen Mitbürger“ an sich geworden, die ihr Leben an den Pflichten des Islam ausrichten und nicht am Rechtsstaat. Das aber verstoße gegen die Gesetze, findet die Autorin und ist am Ende ihrer Kette von Verdächtigungen angelangt: Muslimische Einwanderer sind nicht nur verbohrte Frauen- und Kinderschänder, sondern auch gefährliche Staatsfeinde. Und zwar alle. Beweise für diese Verallgemeinerungen bleibt sie schuldig. So mäandert das Buch vor sich hin, erzählt vom Hohen Mittelalter, als die Phase der Aufklärung im Islam endete, streift die Freundschaft Preußens mit dem Osmanischen Reich und die Verbindungen der Nazis zu arabischen Extremisten, um dann wieder zu den hiesigen Muslimen und Verbänden zu springen. Es gipfelt in den immer gleichen Zirkelschlüssen: Der Islam ist nicht reformierbar, wer daran glaubt, ist selbst nicht reformierbar und erst recht kein guter Demokrat.

Geradezu absurd sind Keleks Ausführungen über das Christentum, das als positive Folie für Abgründe im Islam herhalten muss. Jesus ist für die Soziologin eine Art Vorkämpfer der Säkularisierung, da er lediglich ein sündiger Mensch gewesen sei und anders als Mohammed keine göttlichen Eingebungen empfangen habe. Anders als die aufgeklärten Kirchen, die sich vollkommen dem bundesdeutschen Rechtssystem untergeordnet hätten, wolle der Islam überall sein eigenes Rechtssystem durchsetzen. Wurde nicht der katholischen Kirche in den vergangenen Wochen vorgeworfen, ihr eigenes Süppchen zu kochen und nicht ausreichend mit den staatlichen Behörden zusammenarbeiten bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen?

Religionen, ob christlich oder islamisch, bleiben Necla Kelek fremd. Auch mit der besonderen Verbindung von Staat und Religion, wie es das deutsche Staats-Kirchen-Recht vorsieht, kann sie nichts anfangen. Ihr Vater habe früher an Atatürks Geburtstag eine Flasche Wein aufgemacht, schreibt sie. Den türkischen Kemalisten wie den deutschen Linken ist Religion per se verdächtig und wird höchstens als erkaltetes kulturelles Substrat geduldet. Genau das möchte Kelek auch für den Islam erreichen: Die Hitze des Glaubens soll gefälligst verdampfen. „Es geht nicht an, sich im 21. Jahrhundert auf Wahrheiten und Worte aus dem 7. bis 10. Jahrhundert zu berufen“, schreibt sie. Aber was würde bleiben, wenn sich die Christen nicht mehr auf die Bibel berufen dürften, die ja noch älter ist? Weihrauch und Entspannungsmeditation?

Was Keleks frühere Bücher „Die fremde Braut“ (2005), „Die verlorenen Söhne“ (2006) und ihren Türkei-Bericht „Bittersüße Heimat“ (2008) spannend machten, waren ihre Recherchen in Moscheen, anatolischen Dörfern und Familien. Diesmal reduzieren sich ihre Beispiele aus dem realen Leben auf Erfahrungen, die sie während der Lesereisen in deutsche Kleinstädte macht, wo sie offenbar regelmäßig von bärtigen „Islamwächtern“ beschimpft wird. Als sie das Buch vor zwei Wochen in Berlin vorstellte, saß nur das typisch großstädtische Bildungsbürgertum in den Stuhlreihen im Kino Babylon: Generation 55 plus, meist weiblich, die Herren grauhaarig. Man war sich in der Angst vor dem Islam einig. Von Islamwächtern keine Spur.

Dass Necla Keleks Bücher immer weniger Recherche enthalten, dafür aber umso mehr Meinung und scharfe Töne, ist typisch für die gesamte Debatte über den Islam. Die Schwierigkeiten, mit denen Einwanderer in Deutschland kämpfen, und die Erfolge, die sie erzielen, interessieren immer weniger, je mehr sich die Diskussion über sie aufheizt. Die islamische Theologie, ja, sie braucht dringend frischen, aufklärerischen Wind. Da hat Kelek recht. Es gibt solche neuen Ansätze, und es wird noch mehr geben, wenn nun auch an deutschen Universitäten Islamlehrstühle eingerichtet werden, wie es die von Kelek gescholtene Islamkonferenz und der Wissenschaftsrat empfohlen haben. Aber Positives ignoriert die Autorin. Oder sie tut es von vornherein ab: „Was aus der kritisch-rationalen Beschäftigung an einigen Hochschulen hervorgeht, hat keine praktische Wirkung auf die Gläubigen“.

Denn Kelek und ihren Kritikern geht es mittlerweile vor allem um: Deutungshoheit. Da stören Unterscheidungen nur. Und wenn sich die Debatte am weitesten von ihrem Ursprung entfernt hat, fällt in der Regel der Nazi-Vergleich. Bei Kelek ist es etwa bei der Hälfte des Buches so weit. Und spätestens dann wird das Thema interessant für Hochschulseminare. Vermutlich werden bereits die ersten Doktorarbeiten über die Islamkritik und die Kritik der Kritik geschrieben. So verlaufen gesellschaftliche Debatten in Deutschland. So verlaufen sie letztlich im Sande. Und draußen, in der realen Welt, geht alles so weiter wie immer.

– Necla Kelek:

Himmelsreise.

Mein Streit mit den Wächtern des Islam.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 266 Seiten, 18,95 Euro.

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