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Buchkritik: Stiefel im Nacken

Die Erzählungen des deutschen Exiliraners SAID: Seine Verdienste sind eindrucksvoll: Seit SAID als junger Mensch seine Geburtsstadt Teheran verlassen hat und nach München zog, beobachtet er, gewiss oft unter Schmerzen, die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in seiner Heimat.

Und nicht nur dort: Repressalien gegen Kollegen in allen Staaten der Welt, in denen das freie Wort ein Opfer diktatorischer Gewalt wurde, hat er immer wieder wahrgenommen. Auch in diesem Sinn haben ihn der Iran und dessen Schicksal nach Jahrzehnten des Exils nicht losgelassen. Für diesen Einsatz, der auch seine Zeit als PEN-Präsident prägte, ist er wiederholt und zu Recht gewürdigt worden. Spuren dieses Engagements sind auch in dem vorliegenden Band nicht zu übersehen. Manch anderes freilich auch nicht.

Das Buch ist aus 28 sehr unterschiedlichen Texten gebaut – manche Erzählungen kommen schon von der Länge her über das Skizzenhafte kaum hinaus. Den Anfang macht ein kurzer Bericht von einer Schullesung SAIDs, also einer klassischen Situation seines Arbeitsalltags, in der die Lehrer dumme Fragen stellen, während die Schüler dem Autor wenigstens Gelegenheit zu eleganten Antworten geben. Wenn in der nächsten Geschichte eine Reminiszenz an SAIDs eigene Schulzeit erzählt wird, erkennt man, dass hier versucht wurde, die vielen Texte sinnvoll zu reihen. Dabei mischen sich allerdings die unterschiedlichsten Erzähltechniken und -muster, vom alltäglichen Realismus über Träume bis zu Parabeln und – man sagt es am besten gleich – zu ausgewachsenen und dennoch ziemlich hausbackenen pornografischen Fantasien.

Dass in den Verliesen der iranischen Revolutionsgarden Entsetzliches, Erniedrigendes, Ekelhaftes vor sich ging und wohl auch noch geht, überrascht einen ja nicht mehr. Zugleich müssen Betroffene solche Erfahrungen wohl erzählen. In der Literatur spielt es naturgemäß keine Rolle, ob es sich um reale Fälle oder um Kompilationen der Fantasie handelt, solange glaubhaft erzählt wird.

In der längsten Erzählung dieses Bandes beginnt es mit einer Lesung des Autors, bei der ihm in der ersten Reihe eine schöne Frau auffällt, die ihn ihrerseits fixiert und die ihn im Anschluss um ein Gespräch unter vier Augen bittet. Das gewährt er ihr auch am nächsten Morgen, also am helllichten Tag in der Hotelhalle, und er verspürt dabei eine unabweisbare Angst, ihm könne etwas zustoßen: Die Frau ist offensichtlich auch Iranerin, aber wer weiß aus welchem Lager. Nach kurzem erzählt sie ihm jedoch, sie habe sich als Studentin wie ihr Mann einer linken Organisation angeschlossen und sei eines Tages in ihrer Wohnung von Revolutionsgardisten überfallen, verschleppt und wiederholt vergewaltigt worden, anschließend saß sie für Jahre im Gefängnis. Als sie wieder heraus ist, erzählt sie ihrem Mann in einer Liebesnacht, was ihr widerfahren ist: Der schlägt sie ins Gesicht und schläft seither nie mehr mit ihr. Ende.

Da sich das Ganze im Zusammenhang einer Lesung ergibt, mag die blöde Frage erlaubt sein: Was will der Dichter damit sagen? Was einem bei Lesungen alles zustoßen kann? Wohl kaum. Wovor Exiliraner noch in den neunziger Jahren Angst haben konnten? Vielleicht. Welche Brutalitäten die Revolutionsgarden sich herausgenommen haben und wie sie es praktizierten? Offenbar. Dass islamische Ehemänner zumindest in unseren Augen auch sehr brutal reagieren können? Das auch. Unausgewogen bleibt aber die Gewichtung der Themen, und die Ausführlichkeit der Vergewaltigungsschilderungen hinterlässt ein unangenehmes Gefühl. Weitere Geschichten mit Exilanten schließen sich an, von denen vor allem eine zu Herzen geht, die eine Begegnung des Autors mit einem aserbaidschanischen Arbeiter in München erzählt, die mangels gemeinsamer Sprache, geschweige denn gemeinsamer Interessen nicht so gerät, wie es sich auch der Leser wünscht: Sie bleibt in peinigenden Peinlichkeiten stecken.

Die sind allerdings nichts gegen die, die einen im letzten Drittel dieses seltsamen Buches geradezu fertigmachen. Es sind, wie soll man sagen, Geschichten mit Mann und Frau, bei denen man nicht zu lesen glauben möchte, was man da unmissverständlich liest: Da machen die Frauen die Männer an, weil sie „kirre“ sind, nie umgekehrt, und immer geht es nur um das sogenannte Eine. Immer küssen die Frauen die Männer, wie es in konsequenter Kleinschreibung heißt, „auf den mund“ und holen ihre Schwänze heraus, und immer haben die Männer „einen schönen Griff“, und immer schlagen sie den Frauen „auf den hintern“.

Und wenn man dann in einem dieser Dinger liest: „die hand drückte sie runter, sie lag mit dem gesicht auf dem boden des autos; ein stiefel saß in ihrem nacken“ und sich auf einmal erinnert und zurückblättert zu den Vergewaltigungen der Revolutionsgardisten und dort liest: „ein revolutionsgardist wirft mich zu boden. mit dem gesicht nach unten. ein anderer setzt sich auf meinen nacken“, dann bleibt ein schales, sehr irritierendes Gefühl. Man muss es einfach auf die mangelnde literarische Qualität dieser Texte schieben, die alle in einer ermüdend blassen Sprache ohne jeden eigenen Ton geschrieben sind und übrigens ohne jedes Adjektiv auszukommen glauben.

SAID: Der Engel und die Taube. Erzählungen. Verlag C.H. Beck, München 2008. 172 Seiten, 14,90 €.

Jochen Jung

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