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katalanische Kultur

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Buchmesse: Der streitende Gast

Sprachstörungen: Der Frankfurter Auftritt der katalanischen Kultur schürt Konflikte zwischen den Regionen.

Obwohl die katalanische Kultur quantitativ betrachtet überschaubar ist, waren im Vorfeld dieser Buchmesse viele Superlative im Umlauf. Noch nie, heißt es, habe ein Gastland so viel Geld in seinen Auftritt gesteckt. Nie seien so viele Autoren nach Frankfurt geschickt worden. Und – das zumindest steht außer Frage – nie zuvor war der Ehrengast ein Land, das kein eigener Staat ist. Bei der größten Bücherschau der Welt im Mittelpunkt zu stehen, bedeutet für den Kulturraum zwischen Perpignan und Alicante einen in seiner modernen Geschichte beispiellosen Coup in Sachen Außenwirkung. Auf der Buchmesse darf er sich in seiner Eigenständigkeit ernster genommen fühlen als je in einem Europa, das ihm sonst oft mit Desinteresse begegnet. Entsprechend ausgiebig hat man die „einmalige Chance“ in Katalonien in den letzten drei Jahren beschworen. Vielleicht ein wenig zu sehr: Nun, da der große Moment eintritt, ist erschreckend wenig von Literatur die Rede, dafür viel von Politik. Es geht um das ewige Thema der Zweisprachigkeit, um die endlose spanisch-katalanische Debatte – und ganz konkret um den Vorwurf, die katalanischen Organisatoren hätten spanischsprachige Schriftsteller vom Messeauftritt ausgeschlossen.

Tatsächlich befindet sich unter den rund 130 Namen der offiziellen katalanischen Delegation in Frankfurt nicht ein Autor, der auf Spanisch schreibt. Der Shootingstar Carlos Ruiz Zafón steht ebenso wenig auf der Liste wie der längst nobelpreisverdächtige Juan Goytisolo, obwohl man beiden kaum absprechen kann, dass sie katalanische Schriftsteller sind. Die Verantwortlichen in Barcelona schwanken zwischen Rechtfertigungsversuchen – die Auswahl habe jene Autoren begünstigen sollen, die sonst außen vor bleiben, wenn spanische Literatur Thema ist – und Unschuldsbeteuerungen: Man habe die spanisch Schreibenden ja eingeladen, sie hätten nur leider nicht mitkommen wollen.

Die Forderung, in Frankfurt einsprachig aufzutreten, kam zuerst vom Verband der Schriftsteller in katalanischer Sprache. Das war im Frühjahr 2005 und überraschte niemanden. Verleger und gemäßigte Autoren erhoben gleich Einspruch, während die Nationalisten im katalanischen Parlament sich die Forderung zu eigen machten. Spaniens Konservative stimmten ihr übliches Gezeter über den Zerfall der staatlichen Einheit an, die Regierung in Madrid legte für einen Moment ihre föderalistische Gutmütigkeit ab und griff zur markigen Phrase: „Wo Katalonien ist, wird auch Spanien sein.“

Der katalanische Wunsch nach Selbstbestimmung, zugespitzt in der Haltung, das Hauptmerkmal der Eigenständigkeit sei die eigene Sprache, trifft auf die Drohgebärde der höheren Instanz: Wir lassen euch nicht entwischen. Auf der iberischen Halbinsel ist diese Konfrontation ein gut eingespieltes Ritual. Jeder Akteur beherrscht seine Aufgabe im Schlaf, jede Textzeile sitzt. Doch anders als sonst köchelte man diesmal nicht im eigenen Sud, sondern stand unter Beobachtung. Was die katalanischen Medien spöttisch „el culebró de Frankfurt“ nannten, die Seifenoper Frankfurt, wurde in Deutschland mit Befremden verfolgt.

Allerdings ließen die Frankfurter Gastgeber es sich auch nicht nehmen, selbst Hauptrollen in dem Spektakel zu spielen. Legendär ist die Szene, in der der damalige Messedirektor Volker Neumann die Einladung an „eine der lebendigsten Kulturregionen Europas“ offiziell aussprach und als Beispiele für katalanische Literatur nur Autoren nannte, die spanisch schreiben. Trat Neumann, der sein Interesse an katalanischer Kultur, wie er sagte, in seinem Häuschen auf Mallorca entdeckt hatte, dann bald in den Hintergrund, so wurde sein Nachfolger Jürgen Boos zu einer Figur, die im Lauf der Geschehnisse eine echte Wandlung durchlief. Anfangs polterte er noch, man werde auf der Messe „keinen Regionalismus dulden“, ein Jahr später entzückte er auf einer Pressekonferenz mit katalanischen Begrüßungsworten, und wiederum neun Monate später, im Sommer 2007, hieß er die einsprachige katalanische Autorenauswahl ausdrücklich gut.

Neben den Frankfurter Entscheidungsträgern mischten auch deutsche Journalisten bei der Seifenoper mit. Das katalanische Unabhängigkeitsstreben hat hierzulande traditionell eine schlechte Presse, was sich oft nur damit erklären lässt, dass die Korrespondenten in Madrid sitzen und die dort vorherrschende zentralistische Perspektive ungeprüft übernehmen. Über diese Einseitigkeit erschrickt man in Katalonien mitunter. Vor allem über einen Kommentar der „FAZ“, der den Eindruck erweckte, spanisch- und katalanischsprachige Schriftsteller seien verfeindete Gruppen, ist der Ärger im Gastland bis heute nicht verraucht.

Denn die Zweiteilung des katalanischen Literaturbetriebs entspringt nicht dem Betrieb selbst, sondern wird ihm von der Kulturpolitik – und zwar gleichermaßen der katalanisch-separatistischen wie der spanisch-vereinnahmenden – aufgedrängt. Von einigen radikalen „Katalanisten“ abgesehen trägt kein katalanischer Autor die Aufspaltung freiwillig mit, zumal die meisten von ihnen nicht nur kollegiale Freundschaften über die vermeintliche Sprachgrenze hinweg pflegen, sondern in der Tat zweisprachig arbeiten, und sei es nur, indem sie für Zeitungen auf Spanisch schreiben. Oder umgekehrt: Dass ein bekannter spanischsprachiger Romancier wie Eduardo Mendoza („Die Stadt der Wunder“) zugleich ein katalanischsprachiger Dramatiker ist, weiß sein internationales Publikum leider nicht.

Dass nun die künstliche Trennung der katalanischen Literatur in zwei Lager beim Messeauftritt die Oberhand behält, war lange Zeit nicht absehbar. Denn zum festen Personal des Debattentheaters in Katalonien gehört auch die Instanz des besonnenen Vermittlers. In dieser Rolle glänzte das Institut Ramon Llull (IRL), das kleine katalanische Pendant zum Goethe-Institut, betraut mit der konkreten Organisation der großen Frankfurtreise. Abseits der politischen Hahnenkämpfe arbeitete es an einer klug austarierten Messepräsentation und handelte mit Frankfurt einen Vertrag aus, in dem der Ehrengast sich verpflichtete, auch Autoren einzubeziehen, die sich „nicht in katalanischer Sprache ausdrücken.“ Leider büßte das IRL seine Vermittlerrolle mit den Neuwahlen in Katalonien im November 2006 ein. Zwar bildeten Sozialisten, Grüne und Linksnationalisten wie gehabt gemeinsam die Regierung, doch das Kulturministerium ging nun an die Nationalisten, die an die Spitze des IRL sogleich ein Parteimitglied setzten, Josep Bargalló. Dieser Übergriff bedeutete das Ende der moderaten Töne aus dem Institut. Am Messevertrag war nicht mehr zu rütteln, aber wenn es darum geht, eine peinliche Situation zu schaffen, arbeiten die Unversöhnlichen in Barcelona und Madrid zur Not Hand in Hand. Das IRL verschickte die Einladungen an spanischsprachige Autoren so spät, dass man darin ein „Bleibt besser weg“ sehen konnte. Dass die Angeschriebenen aber tatsächlich geschlossen absagten, war ein Erfolg der zentralspanischen Kulturlobby, die mächtiger ist als die katalanische und die entsprechend Druck gemacht hatte.

Der Wunsch der politischen Hardliner, die Buchmesse zur Bühne für ihre Profilierungsgefechte zu machen, ist also in Erfüllung gegangen. Die Leidtragenden sind die katalanischen Autoren, egal in welcher Sprache. Sie kommen mit demselben Wunsch auf die Messe wie ihre Kollegen aus aller Welt, nämlich über Bücher zu reden, speziell über ihre eigenen – und müssen nun dauernd über Politik reden. Dabei gibt es reichlich schöne Gründe, sich mit der katalanischen Literatur zu befassen, der alten wie der neuen. So erscheint der berühmte Ritterroman „Tirant lo Blanc“, den Cervantes im „Don Quijote“ das beste Buch der Welt nennt und der gerade von dem Skandal- und Starregisseur Calixto Bieito in Berlin auf die Theaterbühne gebracht wurde, zur Messe erstmals ungekürzt auf Deutsch. Der Verlag SchirmerGraf macht sich um eine Neuausgabe von „Solitud“ verdient, dem düsteren Meisterwerk des katalanischen Modernisme, verfasst von Caterina Albert unter dem patriotischen Pseudonym Víctor Català. Und der Suhrkamp Verlag legt endlich die wunderbare „Plaça del Diamant“ von Mercè Rodoreda wieder auf. Gleichermaßen in der Tradition Rodoredas wie Alberts steht Maria Barbal mit ihrem in Deutschland schon zum Bestseller gewordenen Kurzroman „Wie ein Stein im Geröll“ über den Einbruch des Bürgerkriegs ins archaische Pyrenäen-Dorfleben. Und nicht minder großen Erfolg hätten zum Beispiel Jordi Puntís abgründig-präzise Erzählungen über das Ende der Liebe verdient („Erhöhte Temperatur“) oder Josep M. Fonalleras’ lakonisch-morbider Roman „August und Gustau“ über einen Museumswärter, der sich ermorden lassen möchte.

Vor dem Hintergrund dieser hochkarätigen Literatur könnte es gut möglich sein, dass der Auftakt der Buchmesse doch noch zu einem glücklichen Ende für die Seifenoper Frankfurt führt. Und dass im Zeichen des Esels – dem störrisch-niedlichen katalanischen Nationalmaskottchen auf dem Messeplakat – nun ein fruchtbarer Austausch beginnt rund um das, was den Ehrengast zweifellos so sympathisch und interessant macht: seine Bücher.

Michael Ebmeyer lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm im Piper Verlag „Gebrauchsanweisung für Katalonien“.

Michael Ebmeyer

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