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© dpa-Zentralbild

DDR: Flucht ins Traumland

Von Spionen und anderen Übersiedlern: Zwei Bücher über Menschen, die in die DDR gegangen sind.

Geh doch rüber!“ bekam man als West-Berliner Student 1968 öfter zu hören. Viel Lust hatte dazu aber keiner, denn richtig einladend war die DDR Walter Ulbrichts zu keiner Zeit. Jedenfalls nicht für antiautoritäre junge Leute, deren Auftreten – mit langen Haaren, Bluejeans und Mao-Plaketten – in der DDR genauso misstrauisch beäugt wurde wie in West-Berlin. Dass die DDR Erich Honeckers später der Roten Armee Fraktion Zuflucht bieten würde, schien bis zur Wende 1989 schlicht undenkbar.

Dass die DDR Übersiedlern aus der Bundesrepublik Zuflucht bot, war natürlich bekannt und keineswegs „ein deutsch-deutsches Tabuthema“, wie der Beck Verlag eine Studie des Historikers Bernd Stöver interessant zu machen versucht. Nötig wäre das nicht, denn das Thema ist spannend genug, auch wenn es keineswegs nur Spione und Terroristen waren, die in die DDR übersiedelten. Eine halbe Million Menschen waren es insgesamt: Nicht nur von Strafverfolgung bedrohte Kommunisten, die nach dem KPD-Verbot die Bundesrepublik verließen, sondern auch enttäuschte Christdemokraten, verbitterte Antifaschisten, flüchtige Wehrdienstverweigerer oder schlichte Bürger, die im anderen Deutschland ihre alte Heimat, Verwandte, neue Liebe oder auch nur berufliche Vorteile suchten.Viele kamen dabei vom Regen in die Traufe, andere machten ihr Glück wie der Dramatiker Peter Hacks, der es zum Staatsdichter und größten Antiquitätensammler der DDR brachte.

Ein erhebliches Kontingent der Übersiedler stellten Rückwanderer, die nach einer Flucht aus der DDR im Westen nicht Fuß fassen konnten oder zu ihrer zurückgelassenen Familie heimkehrten. Wie demütigend die Bedingungen dafür allerdings waren, berichtet ein anderes Buch, die Reportagen „Einmal Freiheit und zurück“ des ZDF-Mitarbeiters Ulrich Stoll. Es versammelt ein Dutzend deprimierende Erlebnisberichte aus dem Zentralen Aufnahmeheim in Röntgental, das 1979 die früheren Aufnahmelager Barby, Eisenberg und Molkenberg ersetzte. Sogar zu Selbstmorden und Selbstmordversuchen kam es in diesen Quarantänestationen für Übersiedler, die dort Wochen und Monate unter Aufsicht und Verhören der Staatssicherheit zubringen mussten. Dabei wurden noch ein Viertel der Rückkehrer – und mindestens die Hälfte der Zuzugswilligen – abgewiesen, die in der DDR unerwünscht waren oder als Agenten verdächtigt wurden. Obdachlose wurden schon an der Grenze zurückgeschickt, Arbeitslose nur bei Bedarf aufgenommen. Nur in relativ kurze Phasen ihrer 40-jährigen Geschichte warb die DDR selbst um qualifizierte Übersiedler und Rückkehrer: Etwa um Ärzte, Techniker und Wissenschaftler oder um Unentschiedene, die wegen staatlicher Repressalien geflohen waren. Ihnen wurde im „Tauwetter“ der 50er Jahre Rehabilitierung und Rückgabe von Enteignungen zugesagt. Der Erfolg solcher zeitweiligen Kampagnen blieb aber spärlich.

Einige Fälle prominenter, meist politischer Übersiedler stellt Stöver in Fallstudien dar: Otto John, Günther Gereke, die Bundeswehroffiziere Bruno Winzer und Adam Gliga, den Stasi-Terrorhelfer Hans Wax, den Kanzlerspion Günter Guillaume und die RAF-Asylantinnen Inge Viett und Susanne Albrecht. Dagegen sind ihm einige namhafte Fälle von Künstlern und Intellektuellen entgangen oder weniger interessant. Zu nennen wären – außer Wolf Biermann, Ralph Giordano oder Joachim Seyppel, die Stöver immerhin erwähnt – zum Beispiel die Schriftsteller Werner Bräunig, Adolf Endler und Johannes Tralow, der Maler Wolfgang Frankenstein oder der Philosoph Rudolf Schottlaender. Der Philosoph Friedrich Tomberg, mit seiner Studie über „Basis und Überbau“ ein Idol der West-Berliner Studentenbewegung, wechselte unter Spionageverdacht die Seiten und erhielt einen Lehrstuhl in Jena.

Während Tomberg, Tralow und Frankenstein in der DDR Fuß fassen konnten, wurden Schottlaender, Bräunig und Endler zeitweise zu Opfern der DDR-Kulturpolitik. Und auch Täter hat es unter den Übersiedlern in die DDR gegeben wie den Bundeswehr-Deserteur Arnold Schölzel, der als IM der Staatssicherheit oppositionelle Studenten der Humboldt-Universität – unter ihnen Wolfgang Templin und Sebastian Kleinschmidt – und deren Westkontakte bespitzelte. Nach der Wende brachte er es noch bis zum Chefredakteur der ehemaligen FDJ-Zeitschrift „Junge Welt“. Stöver, der seinen Fall eingehend darstellt, klassifiziert ihn als Überzeugungstäter, für den der Weg in die DDR eine „Flucht ins Traumland“ war und noch nach deren Ende blieb.

Solche Anwerbungen für die Staatssicherheit gehörten, wie bei Ulrich Stoll zu erfahren ist, zum Standardprogramm bei der Aufnahme von Zuwanderern und Rückkehrern in die DDR. Ein Beispiel: Der Übersiedlerin – aus Liebe zu einem DDR-Bürger – Frauke Naumann wird als „Gegenleistung“ für ihre Aufnahme die Bespitzelung von ausreisewilligen Verwandten abverlangt. Bis in die letzten Tage der DDR erhält sie regelmäßig – mit einem Blumenstrauß begrüßt – Besuch von einem Mitarbeiter des MfS, der sie nötigen will, Westkontakte für die Stasi anzubahnen. Weil sie das ablehnt, bricht sie fast alle Westkontakte ab. Ihre Ehe zerbricht, sie vereinsamt, hat aber „Angst, einen Ausreiseantrag zu stellen, glaubt, nicht mehr die Kraft zu haben, noch einmal die Schikanen der Übersiedlung auszuhalten … Dann kommt die Wende. Ab Oktober 1989 gibt es keine Besuche mehr von ,Rainer’, dem Blumenkavalier von der Staatssicherheit“.

Stolls Reportagen gehen unter die Haut, wo Stövers historische Studie wissenschaftliche Distanz wahrt. Beides hat seine Berechtigung. Nebeneinandergelegt geben beide Bücher ein plastisches Bild von Schicksalskonstellationen an der Grenze durch Deutschland.

Bernd Stöver: Zuflucht DDR. Spione und andere Übersiedler. C. H. Beck Verlag, München 2009. 384 Seiten, 24,90 Euro.

Ulrich Stoll: Einmal Freiheit und zurück. Die Geschichte der DDR-Rückkehrer. Links Verlag, Berlin 2009. 204 Seiten, 16,90 Euro.

Hannes Schwenger

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