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Reinhard Gehlen (hier 1976) belieferte Klatt alias Richard Kauder während des Krieges mit Informationen.

© imago stock&people

Der deutsche Spion „Klatt“ alias Richard Kauder: Stoff für viele Thriller

Wie ein Jude als Nazi-Agent überlebte: Winfried Meyers Buch über Richard Kauder alias „Klatt“. Eine Rezension.

„Max“ und „Moritz“ verdankten ihre Namen wohl tatsächlich einer Anleihe bei Wilhelm Busch. Es waren Codenamen für Meldungen des „Luftmeldekopfs Südost“ der deutschen Abwehr in Wien und Sofia. In der umfangreichen Literatur zur Geschichte der Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg geistern diese Quellen als vermeintlich real existierende Agenten, vielleicht sogar als Doppelagenten der Sowjets. Der frühere KGB-General Pavel Sudoplatov behauptet zum Beispiel in seinen Memoiren eine Personalunion von „Max“ mit einem KGB-Agenten „Heine“ alias Aleksandr Demjanov; der ehemalige CIA-Offizier Robert W. Stephan spaltet „Max“ in einen „Max Nord“ (Demjanov/Heine) und einen „Max Süd“ auf – den deutschen Abwehrmann „Klatt“ alias Richard Kauder. Der war tatsächlich Namensgeber von „Max“ und „Moritz“, hinter denen sich verschiedene Informanten verbargen.

Der Vorfall ist als „Schanghai-Zwischenfall“ in die Geheimdienst-Annalen eingegangen

Dieser Kauder/Klatt wiederum, der Reinhard Gehlens Dienst „Fremde Heere Ost“ die heißesten Informationen über die sowjetische Kriegsführung lieferte, war Jude – in Nazisprache „Volljude“ – und konnte in seiner Dienststelle unter dem Schutz von Wilhelm Canaris weiteren jüdischen Mitarbeitern zum Überleben verhelfen. Ein besonders fantasievoller israelischer Autor und Amateur-Historiker behauptet, er habe nach dem Krieg Waffen für den jüdischen Widerstand in Palästina beschafft und so zur Gründung des Staates Israel beigetragen. Doch das ist ebenso Legende wie seine vermeintliche Identität mit Fritz Kauders, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde.

Hinter dem überlebensgroßen Agenten „Max“ fast vergessen blieb sein Zwilling „Moritz“, Richard Kauders Codename für seine Abwehrinformationen aus Südosteuropa und dem Nahen Osten, die sich als weniger stichhaltig erwiesen und sowohl von seinen Auftraggebern wie von der alliierten Gegenabwehr für wertlos gehalten wurden. „Max“ hingegen ging als gefürchtetes Gespenst in ganz Europa um – beim britischen Geheimdienst MI5 ebenso wie bei den Sowjets, wo er selbst Stalin so beunruhigt haben soll, dass er Ermittlungen anordnete. Erst als Besatzungsmacht in Österreich nach 1945 stießen sie auf Kauder, der bereits vom amerikanischen Dienst CIC erfasst und zeitweise als Agent eingesetzt wurde. Ein Versuch der Sowjets, Kauder zu entführen, misslang, als die in amerikanischen Uniformen verkleideten russischen Entführer in flagranti ertappt wurden. Der Vorfall ist als „Schanghai-Zwischenfall“ in die Geheimdienst-Annalen eingegangen. Stoff für mehrere tausend Seiten Agententhriller, die seither über Kauder/Klatt verfasst wurden.

Kein Wunder, dass auch Winfried Meyer – Historiker am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin – mehr als tausend Seiten braucht, um das Gespenst des vermeintlichen jüdischen Meisteragenten Hitlers dingfest zu machen. Schließlich verbargen sich hinter „Klatt“ weitere zwielichtige Gestalten als Informanten für die Meldungen von „Max“ und „Moritz“: zwei russische Emigranten, der frühere weißrussische General Anton Turkul und sein Gefolgsmann Longin Ira, Lieferant von mehreren tausend Berichten für Kauders Dienststelle. Beide wurden schon von der Abwehr und dem Reichssicherheitshauptamt wie von westlichen Geheimdiensten vor und nach 1945 als sowjetische Agenten verdächtigt. Trotzdem blieb und bleibt unklar, woher die beiden ihre Informationen aus der Sowjetunion bezogen. Selbst bei ihren Auftraggebern weigerten sie sich standhaft und angeblich zum Schutz ihrer Informanten, ihre Quellen offenzulegen.

„Meisterspion gegen Stalin“

In den intensiven Verhören durch westliche Geheimdienste nach 1945 räumte Ira allerdings ein, einen Großteil seiner Meldungen durch die Kombination seines russischen Insiderwissens mit frei zugänglicher Information aus Funk und Presse gewonnen zu haben. Das ist glaubhaft, wenn seine „Moritz“-Meldungen aus Südosteuropa und der Türkei mangels eigenen Insiderwissens so viel dürftiger ausfielen. Für den glaubhaften Hintergrund der beiden als weißrussische Antikommunisten spricht auch ihr weiterer Lebenslauf im Westen: Longin Ira starb 1987 als „glühender Monarchist“ in seiner Münchner Wohnung, die er „zum Museum der russischen Armee umgestaltet“ hatte.

General Turkul war schon 1957 in München verstorben, nachdem er sich vergeblich um Exil in anderen westlichen Ländern bemüht hatte. Er stand bis zuletzt unter geheimdienstlicher Beobachtung als führende Persönlichkeit der russischen Emigration und – so der CIC – „Schlüsselfigur einer der größten Spionageoperationen in Europa vor und während des Zweiten Weltkriegs“. Wären die beiden tatsächlich Doppelagenten gewesen, hätten die Sowjets sie vermutlich heimgeholt wie ihren englischen Meisterspion Kim Philby.

Dass Winfried Meyer nicht sie, sondern Kauder/Klatt als „Meisterspion gegen Stalin“ vorstellt, ist insofern fast ungerecht. Trotzdem bleibt er die vielleicht interessanteste Figur dieses Trios, wenn man sein Doppelspiel als Jude und Top-Agent der deutschen Abwehr in Betracht zieht. Möglich wurde es nur durch den Schutz und die Mitwisserschaft seiner Vorgesetzten unter der Ägide des als Hitler-Gegner hingerichteten Abwehrchefs Wilhelm Canaris. Selbst als im Deutschen Reich Juden aus dem Geheimdienst entfernt wurden, ermöglichten sie Kauder/Klatts Versetzung auf Außenstellen in Bulgarien und Ungarn und duldeten seine undurchsichtigen Handelsgeschäfte als angebliche Tarnung für seine wertvolle Agententätigkeit und Sprachrohr für Max und Moritz. Gewitzt wie Oskar Schindler zelebrierte er seine „Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg“ (Meyer) und wurde wie der zur Legende. Ein „Gerechter unter den Völkern“ war er nicht. 1960 ist er, dement, entmündigt und halbseitig gelähmt, in einem Salzburger Leprosenhaus gestorben. Meyers Biografie setzt einen Schlusspunkt hinter die wuchernden Legenden um ihn und wird so ihrem Anspruch gerecht, „die Tauglichkeit des geschichtswissenschaftlichen Instrumentariums auch für den Gegenstand des geheimen Krieges an einer in dessen Welt wurzelnden und deswegen in so vielen Facetten schillernden Figur wie dem V-Mann Klatt nachzuweisen“.

Winfried Meyer: Klatt. Hitlers jüdischer Meisteragent gegen Stalin: Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 1288 Seiten, 49,90 Euro.

Hannes Schwenger

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