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Der Roman "Kein Land für alte Männer": Ohnmacht und Finsternis

„No country for old men“: Der Roman zum Film

Jetzt ist es also passiert. Der Film hat hierzulande das Buch überholt. Provinzsheriff Bell hat das zerknitterte, müde Gesicht von Tommy Lee Jones. Chigurh, der psychopathische Killer besetzt die Phantasie in Gestalt von Javier Bardem. Und Moss, der Mann, der in der Wüste zwischen einem Haufen Leichen einen Koffer mit 2,4 Millionen Dollar findet, ist nur noch vorstellbar als der schnauzbärtige, coole und doch eher tumbe Hobbyjäger im karierten Hemd, wie Josh Brolin ihn spielt. Cormac McCarthys Roman „Kein Land für alte Männer“ hat keine Chance mehr gegen die Filmadaption der Coen-Brüder, zumal deren Umsetzung sich weitgehend an die literarische Vorlage hält. Das ist schade, denn der Roman hätte eine eigene, von keinen Bildern besetzte Lektüre verdient.

In den USA erschien „Kein Land für alte Männer“ im Jahr 2005 – nach längerer Schaffenspause McCarthys. Schon zuvor war den Coens das Manuskript angeboten worden, und sie erkannten die filmischen Qualitäten des Stoffes sofort. Ähnlich sah es auch die US-Kritik, die sich enttäuscht zeigte und in dem Roman allenfalls eine Drehbuchvorlage für Quentin Tarantino erkennen wollte. Vielleicht hat der Rowohlt Verlag, der McCarthy in den neunziger Jahren in Deutschland bekannt machte, deshalb zunächst auf den apokalyptischen Schocker „Die Straße“ gesetzt, mit dem McCarthy 2006 den Pulitzer-Preis gewann. So wurde die Zeit für „Kein Land für alte Männer“ knapp. Der Roman, für Juni angekündigt, wurde nun zum Filmstart vorgezogen und bietet eine Art „Extended Version“ zum Film.

Die Coens wollten das Buch, ohne es zu zerstören, in Bilder übersetzen und mussten dafür eigentlich nur kürzen und straffen. Die Szenerien der ausgedörrten texanischen Landschaft mit ärmlichen Wohnwagensiedlungen, Windrädern und lausigen Tankstellen gehören zum Standardrepertoire der amerikanischen Ikonografie. Die Schießereien und all die Gewalt haben sie eher vorsichtig behandelt. Der Roman ist viel brutaler. Wo im Text die Hirnmasse spritzt, weil Chigurh seinen Opfern bevorzugt ins Gesicht schießt, blickt die Kamera häufig diskret weg. Die Dialoge sind dagegen fast wörtlich übernommen. Es wird nicht viel geredet in McCarthys Büchern, und wenn, handelt es sich um Fragen, die mit „Ja, Sir“ oder „Nein, Sir“ zu beantworten sind. Und der Mann, der nachts das Ehebett und seine Frau verlässt, erwidert auf ihre Frage: „Wo willst du hin, Baby?“ nur knapp: „Hab was vergessen. Bin bald wieder da.“ Klar, dass es da kein Zurück gibt.

Die Wortkargheit der Figuren ist auch eine Eigenschaft der Prosa McCarthys, die das Schweigen umkreist, das Verstummen in einer Welt, die in ihrer regellosen Brutalität so unbegreiflich ist, dass alle Erklärungen versagen. Die interessanteste Figur ist deshalb der Sheriff, ein Mann, der nach eigenem Bekunden „viel nachgedacht“ hat. Darüber, was man zu einem sagt, der behauptet, keine Seele zu haben. Oder darüber, ob einer, der wegen Mordes hingerichtet wird, weiß, dass er in fünfzehn Minuten in der Hölle sein wird. Nicht dass er an den Teufel glauben würde. Aber erklären würde die Existenz des Teufels doch so einiges.

Die Monologe des Sheriffs strukturieren den Roman. Sie sind jedem Kapitel in kursiver Schrift vorangestellt. Diese Erinnerungen und Gedanken eines alten Mannes, der den Ruhestand herbeisehnt, weil er vor der Drogen-Mafia und der emotionslosen Präzision des Killers kapituliert, geben dem Roman seine beklemmende existentielle Dimension. McCarthy führt einen tief empfundenen Konservatismus vor und lässt ihn auf ganzer Linie scheitern. Früher war alles besser, zumindest überschaubarer. Da gab es noch Gesetze und einfache Antworten auf einfache Fragen, möchte der Sheriff sagen. Aber er weiß, dass das so nie gestimmt hat. Er hat seine eigenen Lebenslügen und hat schon als Soldat im 2. Weltkrieg gelernt, dass ein Menschenleben nichts wert ist. Und das Gesetz? Na ja. Da hat er auch schon ziemlich viel drüber nachgedacht.

Cormac McCarthy: Kein Land für alte Männer. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 284 S., 19,90 €

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