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Botschafter Rolf F. Pauls

© imago/ZUMA/Keystone

Die bundesdeutsche Außenpolitik schlingerte in der Nahost-Problematik: Chronik der Schäbigkeiten

Zur Politik des Auswärtigen Amtes gegenüber Israel

Da sage noch einer, Dissertationen seien spröde und langweilig. Remko Leemhuis hat nicht nur akribisch recherchiert. Er hat sein Opus auch so spannend montiert, dass es den Leser trotz ungezählter Fußnoten fesselt wie ein Thriller und zugleich die konventionelle Erzählung vom deutsch-israelischen Verhältnis sprengt. Ist das nicht eine Geschichte von Schuld und Versöhnung, die in dem hehren Prinzip gipfelt, wonach die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei?

Remko Leemhuis hat sich in die Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes vertieft und Unglaubliches zutage gefördert. Insbesondere das Nahostreferat des Hauses hat sich nie mit Israel anfreunden können – seit Anbeginn der diplomatischen Beziehungen 1966, die ursprünglich Israel verweigerte, dann Westdeutschland wünschte. Das Referat arbeitete sowohl gegen den Botschafteraustausch als auch die Wiedergutmachung. Die Beamten kommen als sorglos antisemitisch in ihren Sprüchen daher; sie hantieren mit uralten Klischees über Juden. Leemhuis findet Beleg über Beleg für den unausrottbaren Glauben an die „jüdische Weltverschwörung“.

Diktaturen bei Laune halten

Das Verhalten des AA gegenüber dem bedrohten Staat war schäbig. Stets waren die Diplomaten darauf bedacht, die arabischen Diktaturen bei Laune zu halten. Die Sorge um die Ölversorgung spielte – wie auch anderswo im Westen – eine wichtige Rolle. Doch tiefer ging die historisch araberfreundliche Grundhaltung.

Martin Walser sprach 1998 von der „Moralkeule“ und der „Instrumentalisierung unserer Schande“. Im AA türmten sich während des Untersuchungszeitraums 1967 bis 1979 die Warnungen vor der „Holocaust-Karte“, die die Jerusalemer Regierung routiniert ausspiele. Jeffrey Herf kam in seinem Buch „Unerklärte Kriege gegen Israel“ zu dem Schluss, dass die DDR einer „Kompromisslösung zwischen Israel und seinen Gegnern im Wege“ stand. Leemhuis’ Forschung zeigt: Das AA agierte ähnlich.

So notierte der erste Botschafter in Israel, Rolf F. Pauls, 1966: „Israel muss einsehen lernen (...), dass Außenpolitik (…) den Blick nach vorn zu richten“ habe und sich auch in den deutsch-israelischen Beziehungen „nicht oder nicht mehr mit dem Reparationsgedanken identifizieren“ möge. Das war der Pauls, der sich gern als Vorreiter der Versöhnung gab. Für ihn, so Leemhuis, war „die Frage nach politischer und moralischer Verantwortung der Bundesrepublik für den jüdischen Staat und die Überlebenden der Schoa somit erledigt“. Im selben internen Dokument legt der Botschafter nach: „Wir sollten den Israelis verdeutlichen, dass wir ihren ständigen Appell an unsere moralische Verpflichtung durchschauen: dass sie Moral sagen, aber Kasse meinen“. Für Pauls war die Wirtschaftshilfe an Israel bloß ein Ablasshandel, mit dem Bonn „Goodwill erwerben“ könne. Es ging um Taktik und PR, nicht um die besondere Verantwortung.

Die Araber bloß nicht verprellen

Die Haltung zu Wirtschaftshilfen und Rüstungslieferungen zeigen deutlich die Prioritäten des AA. Nicht ein gedeihliches Verhältnis zu Israel prägte das Programm, sondern die Wiederherstellung der Beziehungen zu den arabischen Staaten, die 1965 die Drähte kappten, weil Bonn Israel anerkannt hatte. 13 Botschafter wurden zurückgerufen. Den wackeren Diplomaten ging es angeblich um die „Ausgewogenheit“, doch tatsächlich charakterisierten sie die Beziehung zu Israel als „entsetzliche Zwangslage“, aus der es sich zu befreien galt. Und noch deutlicher hieß es: „Einen Grund für ‚besondere Beziehungen‘ zwischen uns und Israel gibt es heute nicht mehr. Denn genau diese ‚besonderen Beziehungen‘ waren es, die das deutsch-arabische Verhältnis gestört und zerstört haben und damit unseren Interessen abträglich waren.“ So schrieb Legationsrat Lesser anno 1971.

Da wundert es kaum mehr, dass ein halbes Jahr nach dem Olympia-Massaker 1972 in München durch den PLO-Ableger „Schwarzer September“ aus dem AA finanzielle Unterstützung für die PLO angewiesen wurde. „Die Botschaft wird ermächtigt die palästinensische Nachrichtenagentur (den Propaganda-Arm der PLO, Chr. B.) in Beirut mit DM 50 000 zu unterstützen.“ Helmut Redies, der Leiter des Nahostreferats, gab sich besonders schlau. Er wies an, die Verwendung des Geldes „ohne Sachbezug" abzurechnen, vulgo: zu verschleiern.

Verständnis für die Olympia-Attentäter von München

Die proarabische Gemengelage im Außenamt ließ den deutschen Botschafter in Kairo, Hans-Georg Steltzer, sogar Verständnis für die Olympia-Attentäter kundtun. Bei aller Missbilligung müsse „auch die arabische Einstellung hierzu verstanden werden, die in den Fedajin idealgesinnte junge Leute erblickt, die aus Verzweiflung über die Not in ihrer Heimat gehandelt“ hätten – eine hübsche Rechtfertigung des Mordens. Hans-Joachim Hille, Botschafter in Amman, sprach sich gegen die Auslieferung der deutschen Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin aus. Waren die auch „idealgesinnt“? Ein solches Gesuch hätte als „feindseliger Akt gegen die palästinensische Widerstandsorganisation“ missverstanden werden können.

Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht - zum Glück

Diese deprimierende Geschichte ist glücklicherweise nur ein Teil der bundesdeutschen Nahostpolitik. Denn die wurde und wird im Kanzleramt gemacht. Wenn es hart auf hart ging, hat Konrad Adenauer die Wiedergutmachung durchgesetzt, Gerhard Schröder deutsche U-Boote für Israel bewilligt, Angela Merkel die Staatsräson ins Feld geführt.

Dieses Buch ist ein Muss für Fans der deutschen Außenpolitik. Eine Ehre für das damalige AA ist es nicht, dafür Zeitgeschichte vom Feinsten. Es ist die atemberaubende Offenlegung eines unbekannten, ja kaschierten Kapitels. Heute, im Zeitalter von E-Mails und Wikileaks, wäre der Autor nicht derart fündig geworden, weil Beamte nicht mehr so sorglos schreiben. Umso mehr ist diese nüchterne Enthüllung zu loben.

Remko Leemhuis: „Ich muß deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten.“ Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. LIT Verlag, Münster 2020. 469 S., 44,90 €.

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