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Literatur: Die lebendige Tote

Frauke Meyer-Gosau spürt den Orten der Dichterin Ingeborg Bachmann nach

Das Bild hat sich in die bundesdeutsche Literaturgeschichte eingeschrieben: Ingeborg Bachmann als fragile, empfindsame Dichterin, leicht entrückt und ein bisschen zerstreut – so sieht man sie auf frühen Fotografien, so liest man von ihr in zeitgenössischen Dokumenten. Das Image war nicht zuletzt eine Form der Selbstrepräsentation in einem schon damals auf solche Projektionsflächen wartenden Literaturbetrieb: Das Phänomen des literarischen „Fräuleinwunders“ ist älter als der Begriff.

Das Bild der Seherin und Poetin, das dann im Lauf von Bachmanns Leben noch von jenem der Diva, der engagierten Autorin, der modernen Intellektuellen abgelöst wurde, verdankte sich auch einem ganz profanen Umstand. Ingeborg Bachmann war kurzsichtig, vertrug aber keine Kontaktlinsen und wollte aus Eitelkeit auch keine Brille. Kein Wunder, dass sie sich gemessen und behutsam schreitend durch ihre Welt bewegen musste.

Solche biografischen Randnotizen kann man in Frauke Meyer-Gosaus schönem Reportageband „Einmal muss das Fest ja kommen“ finden. Die Literaturwissenschaftlerin und Redakteurin der Zeitschrift „Literaturen“ hat sich auf die Suche nach Ingeborg Bachmann und den Spiegelungen einer Autorin gemacht, die bis heute etwas Rätselhaftes, sogar Mythisches umweht. Herausgekommen ist ein besonderes literarisches Reisebuch.

Die Orte Ingeborg Bachmanns – von Klagenfurt über Wien bis Rom – werden in Augenschein genommen und eindrücklich beschrieben, um sich Person und Werk anzunähern. Es ist ein ähnliches Verfahren, wie es Helmut Böttiger vor einigen Jahren fruchtbar auf die „Orte Paul Celans“ angewendet hat: der genius loci als Ausgangspunkt einer Lebensgeschichte. Geschrieben ist Meyer-Gosaus Buch weniger für die akademische Bachmann-Gemeinde als vielmehr für Leser, „die – wie die Reisende selbst – Lust haben, sich in anderen Städten umzuschauen und dabei auf Menschen zu treffen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Geschichten von der alltäglichen Ingeborg Bachmann in diesem Fall.“

Einer dieser Geschichtenerzähler ist der Komponist Hans Werner Henze, den Meyer-Gosau in Italien besucht hat. Henze hatte Bachmann 1952 auf einer Tagung der Gruppe 47 kennengelernt, und die beiden hatten sich auf künstlerischer Ebene augenblicklich ineinander verliebt, sind ein Produktions- und Freundespaar geworden, über Jahre hinweg. In dem Gespräch, das Meyer-Gosau mit Henze führt, erscheint Ingeborg Bachmann als „lebendig Tote“ – ja, bei all ihren Freunden ist sie gegenwärtig wie eine übermächtige Patronin: „Die Inge“, sagt Henze, „die Inge mit ihrer hohen dünnen Stimme: Sie könnte jetzt zur Tür hereinkommen.“

Ingeborg Bachmann ist die „Anwesend-Abwesende“, auch in ihrer Heimatstadt Klagenfurt, wo im Haus der Eltern eine Art Museum eingerichtet ist, wohin man die einst Geflohene heimgeholt hat, ihre Möbel sind dort aufgestellt, ihre Erinnerungen lebendig. Überhaupt entdeckt man durch Frauke Meyer-Gosaus Annäherung an den Mythos die für das Werk produktiven Widersprüche in Bachmanns Leben: hier die weitgereiste Autorin, die nicht müde wurde, ihre verlassene Heimat zu desavouieren; dort die Tochter, die immer wieder nach Kärnten zurückkehrte, das „innere Klagenfurt“ nicht abschütteln konnte und wollte.

Hier die selbstbewusste Intellektuelle, dort die Frau, die nicht immer glücklich war in der Wahl ihrer Liebhaber. Hier die schwermütige Dichterin, dort die lebenslustige Eroberin, die sich in die Welt hinauswagte, Sport trieb und gerne tanzen ging. „Einmal muss das Fest ja kommen“ – dieser Satz bündelte Ingeborg Bachmanns Sehnsüchte Anfang der fünfziger Jahre. Ein Fest sollte der Alltag sein, das Leben mit den Liebhabern und Freunden – und vor allem das Schreiben.

Ohne Katerstimmung am folgenden Tag war nichts davon zu haben.

Frauke Meyer-Gosau: Einmal muss das Fest ja kommen.

Eine Reise zu Ingeborg Bachmann. Verlag C.H. Beck, München 2008. 237 S., 19,90 €.

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