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Puerto Ricos Capitol.

© REUTERS

Die USA und ihre Probleme: Das Land hinter Trump

Heike Buchter, Daniel Immerwahr und Jill Lepore betrachten die Gegenwart der Vereinigten Staaten.

Wer sich mit den Vereinigten Staaten von Amerika befasst, kommt an Donald Trump nicht vorbei. Das Problem ist, dass derart polarisierende Präsidenten wie Trump ablenken von den wirklich interessanten, diesen Präsidenten-Typen zugrunde liegenden Entwicklungen in den USA.

Was im medialen Tagesgeschäft kaum noch ausreichend gelingt, übernehmen dankenswerterweise immer wieder kundige Autoren mit ihren Werken zur amerikanischen Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Sie erklären wirklich – und werten nicht nur. Sie beschreiben – und kommentieren nicht nur. Sie nähern sich ihrem Gegenstand von verschiedenen Seiten – und haben nicht schon eine These auf den Lippen, bevor sie den Sachverhalt kennen.

Ein neues Ölzeitalter

Drei aktuelle Bücher zu den USA zählen zu dieser Kategorie. Heike Buchter wirft den Blick auf ein Thema, das in einem doppelten medialen Schatten liegt. Während zum einen erst vor Kurzem mit einem Großaufgebot an Staats- und Regierungschefs, entsprechendem Sicherheitsaufwand und globaler Berichterstattung bei den Vereinten Nationen in New York über den Klimawandel debattiert wurde, hat sich das gastgebende Land und damit die nach China – je nach Maßeinheit – nur mehr zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in ein neues Ölzeitalter aufgemacht.

Zum anderen hat die dortige Wirtschaftskorrespondentin der „Zeit“, die bereits 2007 die Finanzkrise vorhersagte, es nun mit einem Buch auf die Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises geschafft, das zeigt, wie sehr entscheidende Weichenstellungen in den USA eben nicht allein auf Trump zurückzuführen sind, sondern er nur die sichtbarste Spitze viel breiterer Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darstellt. Es ist eben nicht das Werk eines einzelnen Politikers, selbst wenn er sich immer noch als der mächtigste der Welt bezeichnen kann, dass von Alaska bis zum Golf von Mexiko ganze Landstriche zu Industriebrachen geworden sind oder werden.

Gegen den grünen Meinstream

Als in New York lebende und arbeitende Wirtschafts- und Finanzmarktexpertin hat sich Buchter vor Ort ein Bild von den Schauplätzen der heutigen Ölindustrie machen können, die in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebt hat. Ihr Bericht zeigt, wie an der Wall Street der Öl-Boom angeheizt wird, wie das Geld weiterhin in die fossilen Brennstoffe fließt. Hier wird eine Gegenbewegung zum wohl nur gefühlten grünen Mainstream sichtbar, die der Welt eine neue Ordnung gibt, die bislang kaum wahrgenommen wird. Denn wenn Banken und Investoren den Förderfirmen von Öl und Gas und den Betreibern von Kohleminen kein Kapital mehr zukommen lassen würden, stünden sie bald vor dem Aus. Vor allem die Fracker mit ihrem stetigen Milliardenbedarf an frischem Cash hält Buchter für verwundbar. Doch es sehe nicht danach aus, als ob die Finanziers der Branche den Rücken kehren würden – im Gegenteil.

So wie in den Vereinigten Staaten die Eliten und Entscheider in Politik wie Wirtschaft gleichermaßen für den Kurs der Energiepolitik verantwortlich sind, so verhält es sich auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier gibt es ebenfalls eine Kontinuität seit nunmehr Jahrhunderten, die kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert ist – ob in Amerika oder in Europa: Wenn an Kolonialmächte gedacht wird, fallen meist zuerst die Namen der europäischen Überseeimperien, angefangen bei den Portugiesen und Spaniern, folgend den Briten und Franzosen, schließlich den Deutschen.

Amerika ist größer als die USA

Doch wer denkt an die Amerikaner? Daniel Immerwahr. Er lehrt Geschichte an der Northwestern University in Illinois und wird zu den vielversprechenden jüngeren Historikern seines Landes gezählt. Für sein Buch „Thinking Small“, erschienen 2015 bei Harvard University Press und von der Geschichte handelnd, wie die Vereinigten Staaten Mitte des 20. Jahrhunderts versucht hatten, die Welt durch kleine, gemeindebasierte Ansätze vor der Armut zu retten, ist Immerwahr vom amerikanischen Historikerverband ausgezeichnet worden.

Nun ruft Immerwahr in Erinnerung, dass das Territorium der USA viel größer ist, als die Landkarte auf den ersten Blick zeigt. Er erzählt, wie die Amerikaner im 19. Jahrhundert ein Weltreich errichteten, ohne dass es in der Welt groß wahrgenommen wurde. Dabei vermeidet er gängige Klischees über amerikanischen Imperialismus, sondern stellt nüchtern fest, dass die Vereinigten Staaten eine „normale“ Kolonialmacht waren und ihre Landkarte um etliche Außengebiete ergänzt werden müsste.

Kolonialismus und Kolonisierte

Denn die Amerikaner eroberten die Philippinen, wobei fast eine Million Menschen starben. Die USA annektierten Puerto Rico; sie verleibten sich etliche Inseln im Pazifik ein, unter anderem um den Rohstoff Guano auszubeuten, der ab dem 19. Jahrhundert sowohl als Dünger in der Landwirtschaft als auch bei der Sprengstoffherstellung Verwendung fand und damit neben Zucker, Rum, Baumwolle, Tabak und Indigo zu einem der bedeutendsten Importgüter aus der weltwirtschaftlichen Peripherie für die sich industrialisierenden Länder Europas wurde.

Zwar traten die USA später manche Gebiete wieder ab: Einige Inseln gingen etwa an Haiti. Die Philippinen wurden unabhängig. Kuba wurde zur Scheinrepublik – bis zur Revolution. Hingegen ist Puerto Rico bis heute ein Außengebiet, kein Mitglied der Vereinigten Staaten. Seine Bewohner bezeichnet Immerwahr als US-Bürger zweiter Klasse.

Kinder der Eroberung

Wie wenig diese Seite der Historie Amerikas in Wirklichkeit überraschen sollte, kann man bei Jill Lepore lernen. Die Professorin für amerikanische Geschichte an der Harvard University und Autorin des „New Yorker“, inzwischen mehr als ein halbes Dutzend Mal preisgekrönt für ihre Bücher, ordnet historische Entwicklungen, wie sie Buchter und Immerwahr anschaulich schildern, überaus klug in die amerikanische Geschichte ein, indem sie nicht nur all die echten Gegensätze und Widersprüche, sondern auch die vielen vermeintlichen hervorhebt, die ihr Land prägen.

Lepore bringt luzide auf den Punkt, was die Entstehung und das Werden der USA bis heute ausmacht: Ihre Landsleute stammen von Eroberern und Eroberten ab. Ihre Vorfahren waren Menschen, die als Sklaven gehalten wurden, und Menschen, die Sklaven hielten. Sie gehörten der Union an und der Konföderation. Sie waren Protestanten und Juden, Muslime und Katholiken. Ihre Wurzeln gehen zurück auf Einwanderer und Menschen, die dafür gekämpft haben, die Einwanderung zu beenden.

Helden und Schurken - und vice versa

Wie in beinahe allen Nationalgeschichten ist auch in Amerika manchmal der Schurke des einen der Held des anderen. Dieses Argument bezieht Lepore explizit auch auf Fragen der Ideologie: Die Vereinigten Staaten seien auf der Basis eines Grundbestandes von Ideen und Vorstellungen gegründet worden. Aber die Amerikaner seien inzwischen so gespalten, dass sie sich nicht mehr einig seien, welche Ideen und Vorstellungen dies seien oder gewesen seien. Und sie ergänzt historisch weise: „wenn sie es denn jemals waren“. Einmal mehr zeigt sich hier: Trump ist nicht die Bewegung – er ist nur ihre sichtbarste Spitze.

Heike Buchter: Ölbeben. Wie die USA unsere Existenz gefährden. Campus Verlag, Frankfurt 2019. 300 S., 24,95 €. - Daniel Immerwahr: Das heimliche Imperium. Die USA als moderne Kolonialmacht. Aus dem Englischen von Michael und Laura Su Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2019. 720 S., 26 €. - Jill Lepore: Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Aus dem Englischen von Werner Roller. Verlag C. H. Beck, München 2019 (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung). 1120 S., 39,95 €.

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