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© Hoffmann und Campe

Literatur: Echo vom Lande

Reinhard Kaiser-Mühlecker besteigt den österreichischen „Magdalenaberg“

Der Wasserhahn tropfte. Unermesslich langsam fiel ein Tropfen nach dem anderen von der Spitze des abgeschrägten Endes des auf den Wasserhahn gesteckten grünweißen Schlauchstutzens in den Kies auf dem Boden.“ Ein bisschen ist es auch so mit der Literatur von Reinhard Kaiser-Mühlecker: Man beobachtet wie ein Tropfen langsam auf den Boden fällt, wie sich in so einem Tropfen, einem einzigen Satz, alles verdichten kann.

Man schaut ganz unabgelenkt darauf und ist auf irritierende Weise einverstanden mit dieser Langsamkeit und der Konzentration und dem Augenblick des sanften Auftreffens des Tropfens auf dem Kies, mit dem leisen, leichten Spritzen, wenn sich das Verdichtete zerteilt und auflöst und man auch ein bisschen erleichtert ist, dass die Kontemplation sich verwandeln kann in Erstaunen oder Erschrecken.

Denn man muss Reinhard Kaiser-Mühlecker mit Geduld lesen; seine Sprache verlangt Hingabe und Bedächtigkeit, und doch ist, was er erzählt, von großer Verstörungskraft. Das war so in seinem in bäuerlichem Milieu angesiedelten Debüt „Der lange Gang über die Stationen“, das als Heimatliteratur ohne Ruch von falscher Idyllik oder gar Gemütlichkeit aufgenommen wurde. Und das ist in seinem Roman „Magdalenaberg“ wieder so.

Reinhard Kaiser-Mühlecker verfeinert hier seinen Ton, der ein fernes Echo des frühen Peter Handke zu sein scheint und dessen Herkunft aus der Sprachlosigkeit auf Arnold Stadler verweist. Ein Ton, der aus einer ländlichen Welt stammt und dem jeglicher Hipness-Faktor abgeht. Es ist eine stille, manchmal fast altertümliche, von Austriazismen durchdrungene Sprache, die genau gesetzt ist, die aus der Kargheit ihre poetische Kraft schöpft und die zwar nicht neu, aber doch weit entfernt ist von allem, was man heute in der zeitgenössischen Literatur finden kann. „Toll“ steht hier nicht für großartig, sondern tatsächlich für verrückt; die Brotzeit heißt selbstverständlich „Jause“; und es wird nicht neben den Birnbaum gepinkelt, sondern das „Wasser abgeschlagen“.

Es ist die passende Sprache für die Geschichten, die der 1982 im oberösterreichischen Kirchdorf an der Krems geborene Autor erzählen will: „Magdalenaberg“ spielt wieder auf dem Land und handelt von Fremdheit und vom Abschiednehmen, und das auf leise und dezente Weise. Die Erzählung ist von einer tief eingesickerten Traurigkeit und doch ungeheuer trostreich, da sie alles genau benennt und im Benennen ein Aufgehobensein erzeugt, das gegen bodenloses Unglück schützt.

Joseph heißt der Ich-Erzähler, dessen jüngerer Bruder von einer Straßenbahn in Wien überfahren worden ist und der am Grab in seinem Heimatort Pettenbach sitzend versucht, der wenigen Bruchstücke seiner Erinnerung an diesen Bruder habhaft zu werden. „Soviel ich auch darüber nachdachte, so war es: Mein Bruder Wilhelm hatte in meinem Leben einfach keine große Rolle gespielt. Nicht in der Kindheit, nicht später.“

Joseph schreibt an einer Abschlussarbeit über den Beruf des Instrumentenbauers (auch so etwas aus der Zeit Gefallenes), er lernt Katharina kennen, mit der er zwei Jahre zusammen ist, bis sie eines Tages fast wortlos wieder aus seinem Leben verschwindet: Es sind diese Ungeheuerlichkeiten, die Joseph ins Grübeln und zum Erinnern bringen: Er denkt zurück an seine Kindheit, den Ministrantenunterricht, die wenigen Gespräche mit dem schweigsamen, in seinen Handlungen konsequenten Bruder, daran, wie er sich früher auf dem Magdalenaberg bei der Kirche herumgetrieben und stundenlang ins Nichts gestarrt hat. Erst mit dem Toten beginnt die Auseinandersetzung, die zur Selbstbefragung wird. Joseph steht an einem Lebenswendepunkt, nur weiß er das selber noch nicht genau.

Pettenbach, das längst verlassene und doch immer wieder aufgesuchte Heimatdorf, ist für ihn immer ein Übergangsort gewesen – wie überhaupt alles für diesen zaudernden, zögerlichen, langsamen Helden von Übergängen geprägt zu sein scheint. Wo er sich zu lösen wünscht von seinen Bindungen, bleibt er doch immer in seiner Herkunft verfangen. Die Welt „rückt von ihm“ weg, aber er schafft es nicht, ihr nachzugehen. Eine ungeheure Müdigkeit liegt auf diesem jungen Mann, eine lähmende Schwere. Die Fremdheit entsteht, weil sich der Erzähler weder richtig verabschieden noch irgendwohin aufbrechen kann: Die verschiedenen Zeiten verschwimmen ihm zu einer Zeit, Vergangenheit und Gegenwart gehen ineinander über. Immer wieder ist er „erstaunt und verstört“, „dass ich hingehen konnte, wohin ich wollte – wenn ich zurückkam, war alles beim alten, und ich war ebenso der alte.“

Es passiert nicht viel in diesem zeitlupenhaften Entwicklungsroman, der von einer Rückkehr handelt und einer Rückschau, aus der dem Erzähler keine Selbstgewissheit entwächst, aber doch eine Art von Erkennen: Noch immer weiß er nicht, wo er hingehört, an welchem Ort er, der immer nur weg wollte, eigentlich sein möchte. Aber zumindest erlangt er Klarheit über diese Unschlüssigkeit.

In Kaiser-Mühleckers behutsamer Sprache spiegelt sich dieses existenzielle Zittern und Zweifeln, dieses Vergegenwärtigen und Bewusstmachen ganz sanft. Man liest den beunruhigenden Text eines Lebens am Scheideweg wie man eben jene langsam fallenden Tropfen betrachtet – in sich selbst versunken und doch freudig gereizt.

Reinhard

Kaiser-Mühlecker: Magdalenaberg.

Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 192 Seiten, 20 €.

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