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Ein Leben aus dem Stegreif: Eine Rose für Franca

Rames Buch gibt nun Einblick in eine faszinierende, überreiche Biografie. Sie beschreibt die Kindheit in einer Familie der Schausteller und Puppenspieler, erzählt Theateranekdoten. Nicht zuletzt handelt „Ein Leben aus dem Stegreif“ von einem nicht zu brechenden Widerstandsgeist, wie gern hätte man Franca Rame selbst zugehört.

Auch die schönste Blume ist kein Ersatz für Franca Rame. Aber es hilft ja nichts. Die italienische Volkstheaterheldin, die an diesem Abend im Berliner Ensemble gemeinsam mit Ehemann Dario Fo ihr Buch „Ein Leben aus dem Stegreif“ (Rotbuch Verlag, 256 S., 19,95 €) präsentieren sollte, liegt krank im nahen Hotel und kann nicht auftreten. Deshalb stellt Hausherr Claus Peymann eine Vase mit einer einzelnen Rose darin auf Rames leer bleibenden Stuhl, auf dass alle im Saal an die Dame denken, und man muss einmal mehr anerkennen, die subtile Symbolik, sie liegt Peymann einfach.

Statt der Eheleute in Person sprechen nun zu Beginn auf der Bühne ihre Bücher miteinander. Die BE-Schauspielerin Carmen-Maja Antoni trägt vor, wie Rame sich an die Begegnung mit Fo erinnert, an seinen ungelenken Heiratsantrag in einem Café, der mit Tränen, zwei umgestürzten Tassen und einem unausgesprochenen Jawort endet. Antonis Kollege Veit Schubert kontert diese Anekdote mit der entsprechenden Passage aus Dario Fos vor zwei Jahren erschienenen Erinnerungen „Die Welt, wie ich sie sehe“, was im Detail durchaus variiert, ein reizvoller Kontrast. Kein Zweifel, Rame und Fo ergänzen sich im Leben wie in der Kunst aufs Glücklichste, und kaum jemand, am allerwenigsten Fo, wird bestreiten, dass Rame mindestens die Hälfte des Literatur-Nobelpreises gebührt, der 1997 an den aufrührerischen Gaukler verliehen wurde.

Rames Buch gibt nun Einblick in eine faszinierende, überreiche Biografie. Sie beschreibt die Kindheit in einer Familie der Schausteller und Puppenspieler, erzählt Theateranekdoten – etwa, wie sie als junge Julia von einem steifen Kollegen derart gelangweilt wurde, dass sie auf der Bühne einschlief –, widmet sich vor allem den wilden Volkstheaterjahren an der Seite Dario Fos, dem nimmermüden Kampf der überzeugten Linken für die Rechte der Arbeiter, gegen die Unterdrücker jeder Couleur. Eine kaum erträgliche Szene schildert, wie sie in den 70er Jahren von vier Faschisten vergewaltigt wurde, ein Übergriff, den, nach allem, was man heute weiß, eine Carabinieri-Einheit befohlen hat. Nicht zuletzt handelt „Ein Leben aus dem Stegreif“ von einem nicht zu brechenden Widerstandsgeist, wie gern hätte man Franca Rame selbst zugehört.

So aber gehört das Rampenlicht des Berliner Ensembles dem Mann allein, was ja durchaus der Tradition des Brecht-Hauses entspricht. Peymann preist seinen Gast als großen Künstler, auch als politischen Menschen. Nichts fürchten die Mächtigen so sehr wie das Gelächter, das war immer die Überzeugung Fos. Fast 84 Jahre alt, beherrscht er die Bühne mit einer atemraubenden Verve, Energie und Körperkomik. Derart sprühend monologisiert er sich durch die Geschichte der Commedia dell’Arte, dass sein Übersetzer Luca Renzi, freundlich gesprochen, nicht mitkommt, was für Heiterkeitsausbrüche eigener Art im Publikum mit starker italienischer Präsenz sorgt.

Zum Glück geht der Auftritt dann ohnehin mehr ins Pantomimische über. Fo spielt zwei Szenen im Grammelot, diesem lautmalerischen Fantasie-Idiom der Commedia dell’Arte, das ganz auf den Sinn und die Sinne zielt, das Sprachen wie das Englische oder Französische perfekt imitiert, ohne sich um korrekte Vokabeln zu scheren. Gewaltiger Jubel im Saal. Peymann wird es dann aber irgendwann offenbar zu viel des Frohsinns, er will diesem Abend aus dem Stegreif dramatisches Gewicht geben und ruft mitten ins Gelächter: „Wir wollen doch noch die Vergewaltigungsszene von Franca Rame lesen!“

Eine fassungslose Carmen-Maja Antoni beschließt, die Stimmung zu retten, und trägt stattdessen Rames Abschiedsbrief als Senatorin des italienischen Parlaments vor, in dem sie erklärt, sich nicht länger von tagespolitischen Kompromissen verbiegen lassen zu wollen. Im Hintergrund lässt eine Rose den Kopf hängen.

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