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Eva Menasse: Hochmut vor dem Knall

Eva Menasse erzählt von Menschen mit leichten Verfehlungen. Zwar sind nicht alle Geschichten gleich gelungen, aber alle mit leichter Hand geschrieben, bissig und spitz, wenn es um „eine stadtschlank gehungerte Landmaid“ geht, pointiert und lakonisch auch da, wo Melancholien und Enttäuschungen verhandelt werden.

Sieben ist eine magische Zahl. Sieben Weltwunder, sieben Zwerge, sieben Todsünden. Doch sind das nicht Geschichten aus uralter Zeit und Kunst? Von den antiken Weltwundern existieren nur noch die Pyramiden, Zwerge sind was für Kinder, und über die Sünde hat der Soziologe Gerhard Schulze kürzlich befunden, dass deren Auflösung charakteristisch sei für die Moderne.

Eva Menasse nennt ihre jüngsten Erzählungen dennoch „Lässliche Todsünden“. Der gebürtige Berliner würde die gebürtige Wienerin vermutlich fragen: Hammses nich ne Nummer kleiner? Zumal lässliche Sünden nach katholischer Lehre, die wiederum den Berliner traditionell wenig angeht, keine Todsünden sind, sondern eher eine Art Sünde light. Insofern ist schon der Titel ein kalkulierter Widerspruch in sich.

Und schon ist man mitten in Menasses ganz im Hier und Jetzt verorteten Buch: Denn darin befindet eine gewisse Ilka – drei Kinder, ein Mann, ein Landsitz –, dass man den Kollektivsingular wieder benutzen könne, „ohne gleich ein Rassist zu sein“, auch wenn ihr Über-Ich Einwände erhebt. Ilka gilt seit Studentenzeiten als Rarität, weil sie zugleich attraktiv und witzig ist.

Auch Jahre später pflegt sie noch eine ironische Distanz zu sich selbst, ist mittlerweile aber vor allem besorgt um Abgrenzung zu den benachbarten Schrebergärtnern mit ihren Gartenbars aus dem Heimwerkermarkt, besorgt um die perfekte Inszenierung des Imperfekten bei ihrem Häuschen, und vor allem besorgt um die Psyche ihrer Kinder: Bei ihrem neunjährigen Sohn Joshi meint sie, Züge einer unerforschten Frühestpubertät entdeckt zu haben. Sie wird am Ende nicht verhindern können, dass dieser Joshi sich aus- und sie in ihrem „freundlichen kleinen Schlafzimmer mit Blick auf den See“ einsperrt, indem er von außen die Dachluke zunagelt. Überschrieben ist die Erzählung mit „Zorn“.

Menasses Zyklus umfasst genau sieben Erzählungen, und selbstverständlich heißen die anderen sechs „Trägheit“ ‚ „Gefräßigkeit“, „Wollust“, „Hochmut“, „Neid“ und „Habgier“. Nun sind das alles keine Todsünden, sondern nur Laster, aus denen sich unterschiedlich schwere Verfehlungen erst ergeben. Führt das irgendwohin? Ja, es führt. Denn all die geistreichen Wannabees, all die geschmäcklerischen Akademiker, Künstler, Journalisten und Gastwirte, die Menasse präsentiert, suchen nicht so sehr nach Erleichterungen, sondern nach existenziellem Gewicht. Entsprechend ist Wollust in der gleichnamigen Erzählung gerade das, was dem darin porträtierten Ehepaar fehlt – zumindest aus Sicht des Mannes, der dem Körper seiner stets ein wenig kränkelnden Frau nur nahe kommt, wenn sich an seinen Fingern verschreibungspflichtige Salben befinden.

Dabei geht es nicht um die Zuschreibung von Schuld, auch nicht um das Abarbeiten eines Sündenkatalogs, sondern um das Ausloten von Grenzen und Grenzfällen. Einen Gegenwartsmephisto, der von sich sagt: „So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element“, wird man hier folglich nicht finden. Dafür aber kleine Verfehlungen, die in ihrer Summe zu verkorksten Tagen, Urlauben oder gar Leben führen, ohne dass groß gescheitert würde. Und so sind auch die den Erzählungen zugeschriebenen Sünden selten eindeutig zu identifizieren: Ist es etwa Habgier, wenn eine freiberufliche jüdische Journalistin, die im Fernseharchiv antisemitische Umtriebe eines Politikers zutage fördert, dafür ein Honorar verlangt, oder dient sie dabei der guten als auch der eigenen Sache, wie ihr politisch korrekter Auftraggeber sich zu meinen nicht entblödet?

Zwar sind nicht alle Geschichten gleich gelungen, aber alle mit leichter Hand geschrieben, bissig und spitz, wenn es um „eine stadtschlank gehungerte Landmaid“ geht, pointiert und lakonisch auch da, wo Melancholien und Enttäuschungen verhandelt werden. So heißt es über die erste Begegnung zwischen einer jungen Frau und einem von ihr bewunderten älteren Mann: „Der Tolomei, der in der Marietta-Bar auf sie gewartet hatte, war die überraschend kleine, die zu heiß gewaschene Wirklichkeit, jedenfalls im Verhältnis zu ihren Seelenblähungen.“

So ist es generell um die alltägliche Wirklichkeit in diesen Erzählungen bestellt: Es sind die im Kochwaschgang des Alltags eingelaufenen Visionen und Vorhaben der Figuren selbst, die einst größer und auf verführerische Weise vielleicht sogar schmutziger waren.

Eva Menasse:

Lässliche Todsünden. Erzählungen.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 252 Seiten, 18,95 €.

Thomas Wegmann

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