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© promo

Fotoband: Berlin: Schön hässlich

Bonjour, Tristesse: Das Fotobuch "Backstage Berlin" feiert die unansehnlichen Seiten der Stadt - von Beton über Sperrmüll bis Balkonruinen.

Kürzlich gab es große Aufregung, weil zwei „Tatort“-Kommissare im Interview meinten, Berlin sei hässlich. In einer Stadt, die sich ständig mit sich selbst beschäftigt und sich immerzu in Selbstdefinitionen übt („Sei irgendwas, sei Berlin!“), erhitzt so eine Behauptung natürlich die Gemüter. Ist die Stadt hässlich? Jeder mag selbst entscheiden, Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Was den einen entsetzt, nennt ein anderer interessant, ehrlich, unverstellt, ja vielleicht sogar, auf seine Weise, schön.

Es gibt einen gerade erschienenen Bildband, der passend dazu ausnahmslos unambitionierte Berlin-Fotografien versammelt. Ein kleinformatiger Band, in dem sich gut blättern lässt, zum Kühlen der Euphorie nach einer Überdosis Glanz- und Prospekt-Berlin, nachdem man einen Tag um den Potsdamer Platz herum verbracht hat oder zu lange am Pariser Platz oder am Hauptbahnhof war. „Backstage Berlin“ von Markus C. Hurek zeigt eine andere Stadt: das schöne hässliche Berlin.

Der Fotograf hat fleißig gesammelt. Wir sehen Beton und Waschbeton, Türen von Drogeriemärkten, Balkonruinen, traurige Kaugummiautomaten und die Eingänge von Sexclubs, die Pigalle oder Pascha heißen. Wir sehen vermooste Gartenzwerge, Kondomautomaten, verbarrikadierte Läden und heruntergelassene Rollläden. Gekachelte Fassaden, nicht mehr leuchtende Leuchtschriften, leere Speisekartenschaukästen und temporäre, unabsichtlich geschaffene Installationen: Motorräder unter Regenhauben am Straßenrand zum Beispiel. Skulpturen, die wie kauernde Wesen von einem fremden Planeten aussehen.

So ist ein Berlin-Buch ganz ohne Ku’damm und Hackesche Höfe entstanden, ohne Townhäuser oder Fassaden, die nach ihrer Renovierung neo-historistischen Styroporstuck tragen. Statt dessen gibt es die von Schwarz-Weiß-Postkarten bekannte romantische Tristesse mülltonnendekorierter Hinterhöfe, nur eben hier in satter Farbe.

O du schönes, hässliches Berlin. So viele entführte Einkaufswagen, so viel Sperrmüll, so viele ausgemusterte Computermonitore, Röhrenfernseher und fleckige, durchgelegene Matratzen zieren jeden Tag deine Straßen. So viele zweifelhafte Möbelstücke warten auf den Gehwegen, beklebt mit Zetteln, auf denen „Zu verschenken“ steht. Ein Foto fügt diesen städtischen Stillleben die Ansicht eines in aller Schönheit auf einer Berliner Straße verwesenden Sessels hinzu.

Viele Berlinbesucher sind entsetzt, wenn sie so etwas zu Gesicht bekommen. Genauso entsetzt wie über verschmierte Treppenhäuser und zerkratzte S-BahnScheiben. Ja, so ist sie, die große Stadt. Voller Schrecken für Bewohner kehrwochenbeherrschter, verbundsteingepflasterter, glattasphaltierter Regionen. Trotzdem, das zeigen die Fotos von Markus C. Hurek, es gibt sie, die stille Idylle im Moloch, der ohnehin keiner mehr ist, seitdem in Berlin fast nichts mehr hergestellt wird, wozu es Feuer bedürfte. Wo früher einmal etwas hergestellt wurde, in ehemaligen Fabrikgebäuden und Maschinenhallen, wird heute fast nur noch Kultur gebraut oder geloftet.

Nein, Berlin ist nicht hässlich. Berlin ist schön, trotz all des oft gar nicht malerischen Mülls. Weshalb kämen sonst so viele? Die schöne Hässlichkeit hat eben ihren Reiz, ihretwegen laufen die Touristen die Bernauer Straße und die Kastanienallee rauf und runter, auf der Suche nach der Mauer (monströs-faszinierend) und nach Ruinen mit Einschusslöchern (schaurig-charmant). Die Objekte der Besichtigungsbegierde werden allerdings rarer, die Häuser sind bald alle saniert und alle Bombenlücken geschlossen. Immerhin, die Mauer wird an der Bernauer Straße nun aus rostigen, im Boden steckenden Eisenstäben ... nein, nicht wiederaufgebaut, sondern nur angedeutet.

Der Fotograf war viel unterwegs. Er hat Monumente der Hässlichkeit aufgesucht, die unter Architekturenthusiasten schon wieder als gelungen gelten dürfen, ja, auch die balkonbehangene Fassade des Schöneberger Sozialpalasts findet sich in diesem Buch. Und, Hässlichkeit ist die neue Schönheit, er ist durchs morbide Moabit gestreift und hat dort die bröckelnden Fassaden gefunden, die es in Mitte und Prenzlauer Berg fast nicht mehr gibt.

Es hat etwas Wohltuendes, auf den großen, stark befahrenen Straßen Berlins bis an den Rand der Stadt zu wandern. Vorbei an Currywurstbuden, vergessenen Fahrradskeletten, Müllcontainern, Anhängern, die unter Autobahnunterführungen für Pizzalieferdienste werben, vorbei an Parkplätzen, Baumärkten, Tiernahrungsdiscountern und Musterhäusern. „Selbsterniedrigung durch Spazierengehen“ hat Stephan Wackwitz diese Art der Fortbewegung einmal genannt.

Dabei muss man das Spazieren gar nicht bis zur Selbsterniedrigung betreiben. Es reicht, wenn ein wenig Demut über den Stadtmenschen kommt, der mit diesem Büchlein in der Hand auch sehr bequem auf dem Sofa liegend durch Berlin flanieren könnte. Wer sich in Berlin ein wenig auskennt, darf den Band für sich ad libitum mit den eigenen, ganz privaten Perlen des Unansehnlich-Schönen ergänzen. Mir fällt der Brunnen am Kurt-Schumacher-Platz ein, fast immer schwimmt Müll in seinem flachen, gekachelten Becken. Der Mehringplatz im Abendsonnenschein, so mancher UBahnhof der siebziger Jahre und viele Gebäude, die auf der Seite www.restmoderne.de gezeigt werden. Diese sei allen Freunden des Waschbetons empfohlen.

Gäbe es nicht schon ein lesenswertes Buch gleichen Titels von Bodo Morshäuser, „Backstage Berlin“ könnte auch „Liebeserklärung an eine hässliche Stadt“ heißen. Und wie sagte einer der „Tatort“-Kommissare in einem anderen Interview? „Berlin sieht toll aus. Und es sieht scheiße aus.“

Der Bildband „Backstage Berlin. Rückansichten der Hauptstadt“ von Markus C. Hurek ist im Prestel Verlag erschienen und kostet 14,95 Euro.

David Wagner lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Prosaband „Spricht das Kind“ (Droschl, Graz). 

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