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© Norbert Miguletz für Schirn Kunsthalle

Frankfurter Buchmesse: China als unberechenbarer Partner

Mit Liao Yiwo ist einem weiteren kritischen Schriftsteller von der chinesischen Führung die Ausreise verweigert worden. Die diplomatischen Verwicklungen, meinen Beteiligte, seien, wie alles in China, "eine Dimension größer".

„Wir wollen den Streit“, sagt Jürgen Boos. „Wir erwarten einen offenen und kritischen Diskurs mit unserem Ehrengast.“ Den Streit, den gab es schon, aber vielleicht nicht so, wie es sich der Direktor der Frankfurter Buchmesse (14. – 18. Oktober) vorgestellt hatte. Das Symposium „China und die Welt – Wahrnehmung und Wirklichkeit“, das als Entree des Gastlands China gedacht war, begann mit einem Eklat – dem Auszug der offiziellen chinesischen Delegation – und wurde für die Messe zum Debakel.

Seitdem sind knapp zwei Wochen vergangen; die Planungen für das Programm auf der Messe sind noch immer nicht abgeschlossen. Täglich, so Direktor Boos, liefen neue Veranstaltungen auf. Ob sie dann tatsächlich auch stattfinden werden, ist eine andere Frage. Soeben hat die chinesische Staatssicherheit dem Schriftsteller Liao Yiwu, dessen Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“ gerade im S. Fischer Verlag erschienen ist, die Ausreise nach Deutschland verweigert.

Das Buch schildert das Leben des Schrifstellers als Tagelöhner. Liao Yiwu sollte es zunächst in Berlin und anschließend in Frankfurt vorstellen. Es ist, wie der Schriftsteller sagt, das zwölfte Mal, dass ihm die Ausreise verweigert wird. Er durfte sein Land noch nie verlassen. Liao Yiwu ist vom Haus der Kulturen der Welt zu der China-Konferenz „Rasende Heimat“ nach Berlin eingeladen. Er saß von 1990 bis 1994 im Gefängnis – wegen seines epischen Gedichts „Massaker“ über die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Bernd Scherer, Intendant des Hauses der Kulturen, erklärte am Donnerstag: „Wir sind erschüttert von der Nachricht. Liao Yiwu lässt in seinen Werken Akteure der chinesischen Gesellschaft zu Wort kommen, die normalerweise keine Stimme haben. Wir bedauern sehr, dass die chinesischen Staatsorgane vermeiden wollen, dass wir die Realität der Volksrepublik China in ihrer Komplexität abbilden.“

Politische Friktionen und diplomatische Verwicklungen zwischen Ehrengastland und Gastgeber hat es immer gegeben, man denke nur an die Türkei oder auch an Katalonien, das ausschließlich katalanisch schreibende Autoren nach Frankfurt schickte. „Im Fall von China“, so sagt Peter Ripken, „ist eben alles eine Dimension größer.“ Erstens habe China eine ganz andere Tradition, was das Verständnis von Meinungsfreiheit angehe; zweitens sei das Land in seiner ungeheuren Größe komplexer, komplizierter, vielschichtiger und auch selbstbewusster. Peter Ripken stand viele Jahre der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, heute kurz litprom genannt, vor. Er war zuständig für die Organisation des Symposiums „China und die Welt“; zudem verantwortet er, gemeinsam mit Partnern wie dem DAAD oder dem Auswärtigen Amt, die Veranstaltungen im Internationalen Zentrum der Buchmesse.

Die Buchmesse, so Ripken, sei definitiv darum bemüht, oppositionelle Stimmen nach Frankfurt einzuladen, allerdings sei das Verhalten des offiziellen China diesbezüglich unberechenbar: „Es gibt ständig neue Situationen“, so Ripken, „die Chinesen zeigen gerne einmal ihre Muskeln.“ Wie im Fall von Liao Yiwu.

Anders sieht es aus, wenn es um Einladungen von Autoren geht, die im europäischen Exil leben. Darauf haben die chinesischen Behörden keinen direkten Einfluss, und die Buchmesse legt Wert darauf, die Diskussion über Meinungsfreiheit und Menschenrechte zu fördern. So wird der Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian, der seit 1987 in Paris lebt und mittlerweile französischer Staatsbürger ist, in Frankfurt erwartet, ebenso der in Deutschland lebende Journalist und Autor Zhou Qing, der nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 52 Tage in einer Dunkelzelle verbrachte. Oder auch Abdulrusul Özhun, der im schwedischen Exil lebende Präsident des uigurischen PEN-Zentrums. Auch die Dissidenten Dai Qing und Bei Ling, die bei dem Symposium für einen Eklat gesorgt hatte, werden auf der Messe auftreten.

Auf dem Buchmessen-Forum „Dialog“, das von Ausstellern und Initiativen angemietet werden kann, werden diverse tibetische Initiativen und auch die Gesellschaft für bedrohte Völker Diskussionsveranstaltungen organisieren; der PEN selbst lädt täglich auf der Messe zu einer „Chinesischen Stunde“ mit Autoren ein, die dem Independent Chinese Center angehören. Und der Antrag der Internationalen Kampagne für Tibet, auf dem Messegelände Flyer verteilen zu dürfen, ist mittlerweile genehmigt – die Buchmesse hatte die Aktion zunächst verbieten wollen, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß.

In dieser Woche wurde auf einer gemeinsamen Veranstaltung in Frankfurt sowohl das offizielle chinesische Rahmenprogramm als auch das der Stadt Frankfurt vorgestellt. „Tradition und Innovation“ lautet das Motto des Gastlandes. Es scheint, als habe man die beiden Bestandteile untereinander aufgeteilt: Die Chinesen übernehmen die Tradition und bewegen sich damit auf ungefährlichem Terrain. Die Stadt, deren Kulturdezernent Felix Semmelroth betonte, politische Konfrontationen seien „nicht lästig, sondern notwendig“, ist mit ihren rund 100 Veranstaltungen eher auf der Seite der Innovation. Die Chinesen eröffnen die Messe mit einem Galakonzert mit dem Pianisten Lang Lang, feiern eine Party, in der sich, wie es heißt, chinesische Popmusik und traditionelle Klänge aus der Mongolei verbinden sollen, zeigen in verschiedenen Institutionen in Frankfurt Chinesische Bilderbücher, Scherenschnittkunst, Holzdruckkunst oder eine Ausstellung mit Fotografien des Weltkulturerbes China. Das Literaturhaus wird während der gesamten Messezeit von chinesischen Autoren bespielt – man darf annehmen, dass die Staatssicherheit gegen die Ausreise keiner dieser Schriftsteller Einwände erheben wird.

Die Frankfurter Seite hingegen ist stolz auf eine Präsentation von Fotografien zeitgenössischer tibetischer Künstler, vor allem aber auf die Ausstellung „Kunst für Millionen – 100 Skulpturen aus der Mao-Zeit“. Die Skulpturengruppe „Hof für die Pachteinnahme“, die mehr als 100 lebensgroßen Figuren zählt, wird erstmals in Europa gezeigt. Außerdem gibt es Diskussionen zum Klimawandel, eine Filmreihe und diverse Lesungen, darunter ein Auftritt junger tibetischer Exilautoren. Das klassische und das moderne, das offizielle und das inoffizielle China – beides solle in Frankfurt seinen Platz haben, so Jürgen Boos. Das Muskel- und Diplomatiespiel wird weitergehen.

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