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Literatur: Funkelfinten

Marcus Brauns rätselkühler Sommerkrimi „Armor“

„Auf dem Geländer der Brücke, ein Stein von der Größe eines Säuglingskopfes; von selbst wird er nicht runterfallen, von selbst geschieht wenig.“

Guter Anfang.

Irgendjemand also wird sich den bösen Scherz machen und diesen Stein so anstoßen, dass seine kinetische Vertikalenergie mit der kinetischen Horizontalenergie eines heranbrausenden roten Alfa zusammentrifft, und ein Geschehen kann beginnen. Irgendjemand? Sollten wir den Täter nicht finden nach 185 Seiten – was nicht auszuschließen ist, zumal womöglich zwei, drei anderweitige Spuren im Meersand verlaufen –, na, dann wird dieser Irgendjemand zumindest der Autor gewesen sein.

Kompliziert. Gar nicht kompliziert. Denn auf der Oberfläche ist das eine ausgezeichnet zu verstehende Geschichte. Etwas passiert. Leute reden. Leute denken nach. Leute reden. Wieder passiert was. Also bitte.

Der Stein liegt auf einem Brückengeländer im Département Finistère in der Bretagne – und es sind Fabien und Kate, die in jenem Alfa eines heißen Sommertags unter ihr hindurchbrausen und sogleich mit kaputter Windschutzscheibe in den Graben fahren. Nix Schlimmes. Nur ein paar Tage Panne eben und Pause, Warten auf die Reparatur. Und offenbar angenehm: Eine gewisse Isabelle (jung, hübsch, lose), die mit einem gewissen Jacques (Mitte 50, reicher Architekt) zusammenlebt, pickt die Gestrandeten auf, schleppt ihr Auto ab und die beiden in ihr eigenes und Jacques’ Leben. Und fast von selbst geschieht einiges dann doch.

Aber Vorsicht, genau lesen lohnt sich. So wie das Buch auch nicht kieferschonend „Amor“ heißt, sondern „Armor“, was laut Klappentext auf Keltisch „Land des Meeres“ bedeutet. Also erstens: keine Liebesgeschichte! Zweitens ist bei den Dialogen zwischen Fabien und Kate (plätschernd) und Kate und Jacques (ziemlich sexy) und Fabien und Isabelle (vorsichtig) und Kate und Isabelle (komisch verkokst) und Jacques und Fabien (maulfaul) oft ungewiss, wer gerade spricht: Wie asynchron taumeln die Gesprächsfetzen in ein sonstiges Grübeln hinein. Und auch das noch: Wenn der Autor in der Vergangenheitsform schreibt, passiert gerade jetzt was. Während das Präsens entweder Rückblende ist oder innerer Monolog oder pure Fantasie. Mit anderen Worten: Dieses Buch ist tückisch wie ein Seeigel, kaum hat man sich am Strand ausgezogen, nackt und nachts, ist man schon reingetreten.

Aber tut nicht weh. Im Gegenteil.

Wo hat dieser Marcus Braun, geboren an der Mosel, wohnhaft in Berlin, das Erzählen her? Kaum aus der Inspirationswelt seiner Mittdreißiger-Kollegen. Eher von den Franzosen, von den aberwitzigen Paralleluniversen Boris Vians oder Patrick Modianos Melancholakonie oder der Rotzigkeit eines Philippe Djian. Aber reden wir nicht von Vorbildern. Reden wir auch nicht von Brauns – immerhin schon drei – früheren Büchern, die ihm den zittrig-zweifelhaften Ruhm eines Schwierigen eingebracht haben, eines Rätseltüftlers, der nur zum Schein einfach schreibt. Aber das ist ja gerade das Schöne.

„Kate lächelte ihr weltentrücktes, lunares Lächeln.“ So ein lunares Lächeln muss man schon mal durchgehen lassen. Um sich an Funkelfinten zu erfreuen: „Worauf willst du hinaus, Fabien, dachte Fabien, hätte Kate nun fragen müssen.“ Oder, coolste Sexszene der Welt: „Es folgten die Bewegungen von Säugetieren.“ Oder, als ihre traurige Schattenmetapher: „Fünf Minuten Zeit gibt es immer; die Schamlosigkeit, die Obszönität der Ebbe.“ Schamlos schön bleibt diese Sprache auch dann, wenn ihre Erotik drastischer wird: „Fabien fand es immer noch verblüffend, geradezu beunruhigend, dass sich Kate von unten nach oben entkleidete.“

Die Obszönität dann der primitiven (Männer-)Eifersucht ist es, die Brauns Dialogsprache brutal erdet: „Wenn er dich anfasst, bringe ich ihn um.“ Aber ist das wörtlicher zu nehmen als alles andere? Immerhin wird „Armor“ in der zweiten Hälfte „polar“ (um den französischen Begriff für den Krimi zu verfremden); und kalt. Ein Mord geschieht (vielleicht), ein Tod durch Ertrinken (vielleicht auch). Einigermaßen abrupt zieht der Autor die Fehlsumme der behutsam entwickelten Verhältnisse. Dass und warum Jacques mit der Freundin seines toten Sohnes zusammenlebt. Dass und wohin Kate, des Turtelns müde, sich aus den Liebeslaken davonstiehlt. Dass und mit wem Isabelle, ihrerseits gewissenlos, anzubandeln beginnt.

Zu viele Gewitterfriktionen und -fiktionen, und vor allem: Sie entladen sich zu lange. Dabei ist es die Schwüle des Anfangs, die den bösen Zauber des Buchs ausmacht, das langsam wachsende Unbehagen, das die gestrandeten Flitterwöchner erfasst: Warum ist über Nacht die Leiter vom Dachboden-Liebesnest weggekippt? Wer füllt das geplünderte Banknotenversteck still wieder auf? Und ist ein Automechaniker, nur weil er beharrlich schweigt, eigentlich stumm? Es ist das Arrangement, das fasziniert und das Braun virtuos entfaltet; schade, dass er es denn doch – wie einen Stein von der Brücke – in Bewegung setzen muss.

Dafür darf der Leser baden in wunderbar genau gesetzten Sätzen, und das ist ja so üblich nicht. Erst streicheln sie die Haut der Fantasie, dann tauchen sie ihr glückliches Opfer unter, ein Spaß nur, und ziehen es, ruckzuck, in tiefste Tiefe, ins magische Magma der Sprache. So berauscht Marcus Braun sich und seine Leser, das ist erlaubt. Und macht sich noch lustig dabei: „Hübsche Wildkatze, dachte der Polizist, und so spärlich bekleidet.“ Guter Schluss übrigens.







— Marcus Braun:

Armor. Suhrkamp

Verlag, Frankfurt/Main, Juli 2007,

187 Seiten, 17,80 Euro.

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