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Literatur: Gebetsbuchmühle

Jon Fosse hat ein Faible für Archaisches

Stellen Sie sich vor: Sie haben ein Buch vor sich mit dem Titel „Schlaflos“ und auf dem Schutzumschlag steht, dass dieses Buch einer der größten Dramatiker unserer Gegenwart geschrieben hat und Sie bemerken gleich in Zeile drei einen Kommafehler und lesen weiter und finden immer mehr Kommafehler, weil einer der größten Dramatiker der Gegenwart seine Kommata nach den Gesetzen der Rhythmik und nicht der Orthografie setzt.

Und dann bemerken Sie gleich auf der ersten Seite, dass der Autor nicht „Unterkunft“ sagt, sondern „Obdach“, und noch viele andere dieser archaischen Ausdrücke benutzt, weil es ja immer sehr wohlfeil ist, diese archaische Sprache einzusetzen, um menschliche Urzustände zu benennen, ohne sich viel Mühe dabei zu geben. Und weiter fällt Ihnen schnell auf, dass der Autor im Tonfall einer Litanei nichts anderes erzählt als die Weihnachtsgeschichte; die Geschichte von Maria und Josef also, die durch eine ihnen fremde Stadt irren und niemand will ihnen Obdach, Verzeihung: Unterkunft geben. Nur heißen die beiden in „Schlaflos“ nicht Maria und Josef, sondern Alida und Asle, und Alida ist 17 Jahre alt und wird bald ein Kind bekommen, und der Vater von Alida ist tot und die Mutter hat sie verstoßen und der Vater und die Mutter von Asle sind auch tot und sie haben Hunger und sind müde und es ist furchtbar feucht und kalt draußen.

Und dann denken Sie noch, dass dieser Autor das alles doch nicht wirklich ernst meinen kann, völlig ironiefrei in diesem Tonfall ein ganzes Buch durchzuerzählen, so aufgeblasen und redundant und in diesem Tonfall, der nichts sagt und nichts bewegt und nichts macht außer Ihnen wahnsinnig auf die Nerven zu gehen und niemandem gefällt außer sich selbst, und Sie lesen das Buch weiter, bis zum Ende, immer wieder diese Müdigkeit und diese Abweisung und dieser Hunger, zum Glück ist es ja sehr dünn, dieses Buch, und am Ende bekommen Sie sogar noch ein pappiges Happy End, wie in der Bibel eben, nur viel schlechter.

Stellen Sie sich das einmal vor. Angenommen, genau so wäre es. Wären Sie dann nicht auch ziemlich wütend, nachdem Sie diese Gebetsbuchmühle zugeklappt hätten? Eben.

Jon Fosse: Schlaflos. Erzählung. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel.

Rowohlt-Verlag,

Hamburg 2008.

80 Seiten, 14,90 €.

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