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Literatur: Geldgier und Hitler-Gier

Schaurig-schön: Michael Seuferts Chronik des größten Medienskandals der Nachkriegsgeschichte

Es war ein Mittag ganz nach dem Geschmack Gerd Heidemanns. Als der „Stern“-Reporter am 25. April 1983 um sich blickt, sieht er über 200 Journalisten und 27 Fernsehteams aus aller Welt. Neben sich, auf dem Podium der Kantine im Verlagshaus Gruner und Jahr, sitzt die Crème de la Crème der Historikerzunft. Vor ihm liegen sie, die Bücher. Seine Bücher. Die Hitler-Tagebücher. Gerade hat die Verlagsregie einen Film eingespielt. Hugh Trevor-Roper, der untadelige britische Hitler-Experte, sagt den Satz, auf den alle gewartet haben: Aufgrund des Fundes müsse die Geschichte des „Dritten Reiches“ teilweise umgeschrieben werden. Gerd Heidemann nimmt einen Stapel Bücher, eins in die rechte Hand, zwei in die linke, und lässt sich ablichten. Das Bild geht um die Welt: Der Mann mit dem weißen Kavaliertaschentuch im Jackett und die Bücher des Führers. Der Scoop des Jahrhunderts. Was für eine Verheißung: Wir zeigen Hitler als Mensch!

Wenige Tage und insgesamt 9,3 Millionen D-Mark später fällt das große „Stern“-Soufflé in sich zusammen. Die „Operation Grünes Gewölbe“ des Verlags Gruner und Jahr wird zur Riesen- Ente, drei der ganz großen Verleger Deutschlands, Henri Nannen, Reinhard Mohn und Gerd Schulte-Hillen haben sich blamiert, der Ruf des „Stern“ ist ruiniert. Das Papier, auf dem die angeblichen Hitler-Tagebücher geschrieben sind, enthält optische Aufheller, die erst in der Nachkriegszeit verwendet wurden, die Kladden sind eine Fälschung. Kein Geringerer als CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann lässt das Urteil der Experten des Bundeskriminalamts verbreiten: eine „grotesk oberflächliche Fälschung“. Gerd Heidemann, der Reporterstar des „Stern“, ist dem zweitklassigen Militariahändler „Fischer“ alias Konrad Kujau aufgesessen. Wie konnte es dazu kommen?

Der größte Medienskandal der Bundesrepublik hat noch nicht viele Autoren zur Ursachenforschung veranlasst. Erich Kubys Studie „Der Fall Stern und die Folgen“ von 1983 geriet zu Unrecht in Vergessenheit, Peter-Ferdinand Koch legte 1990 das Buch „Der Fund“ vor. Die US-Journalistin Gitta Sereny befasste sich in ihrem Essayband „Das deutsche Trauma“ 2002 mit dem Thema, Regisseur Helmut Dietl nutzte 1992 den Stoff für seine Komödie „Schtonk“. Doch die Darstellung zum Thema lag bislang nicht vor. 25 Jahre nach dem Skandal hat Michael Seufert sie nun geschrieben. Ein nicht ungefährliches Unterfangen, war der Autor doch selbst an den Geschehnissen beteiligt: Unmittelbar nach Bekanntwerden der Fälschungsnachricht hatte „Stern“-Herausgeber Nannen den damaligen Redakteur beauftragt, Licht ins Dunkel des Skandals zu bringen. Doch bis auf ein entbehrlich wirkendes Eigenlob in einem Unterkapitel hat Seufert ein grandioses Buch geschrieben, das den Leser brillant in einen Stoff verwickelt, der absurder ist als jeder Roman.

Hier der nazigeile Reporter Heidemann, Besitzer der „Carin II“, der Privatjacht Hermann Görings, der mit dessen Tochter Edda eine langjährige Beziehung pflegt und immer tiefer in den Sumpf ehemaliger SS-Generäle und Militariasammler gerät, dort der Kunstfälscher Konrad Kujau, der einen Band nach dem anderen besorgt, bei Zweifeln gleich noch mit Echtheitszertifikat dazu. Hier die beiden Freunde Thomas Walde, Ressortchef „Zeitgeschichte“ beim „Stern“, und Wilfried Sorge, Vizeverlagsleiter, die hinter dem Rücken der Chefredaktion in Heidemanns „Entdeckung“ das Riesengeschäft wittern und direkt mit der Vorstandsspitze über Honorare und Vermarktung verhandeln. Dort eine Redaktion, die zu spät von den Vorgängen erfährt – und zusehen muss, wie der Skandal den Ruf des „Stern“ ruiniert. „Alle Kontrollmechanismen zwischen Redaktion und Verlag waren außer Kraft gesetzt. Die Katastrophe war programmiert“, schreibt Seufert.

Die „Gier nach dem großen Geld“ habe alle erfasst: Den Gruner-und-Jahr-Chef Manfred Fischer und Nachfolger Gerd Schulte-Hillen, die mit den Büchern einen weltweiten Bestseller produzieren wollten; Heidemann, dem das Wasser bis zum Hals stand, weil er sich mit der „Carin II“ einen gewaltigen Berg Schulden eingehandelt hatte. Geldgier traf auf Hitler-Gier: beim Publikum, das auch im vierten Jahrzehnt nach seinem Ableben bereitwillig über jedes Detail des bösen „Führers“ informiert werden wollte.

Die Hauptursache für den Gang der Affäre sieht Seufert in der mangelnden verlagsinternen Transparenz. So bekamen Heidemann und Walde vom Vorstand nicht nur 200 000 Mark Bargeld und die Zusage über weitere zwei Millionen, sondern fatale Verträge. „Diese Verträge machten die Beteiligten durch exklusive Auswertung der Tagebücher zu reichen Leuten und schützten sie gleichzeitig vor jeder nachprüfenden Begutachtung ihrer Quellen durch Historiker und Sachverständige. Laut Vertrag musste noch nicht einmal die Quelle der Tagebuchlieferungen genannt werden“, schreibt Seufert. Verbunden mit einer später von Nannen als „Bunkermentalität“ bezeichneten Haltung, „entstand auf kaum nachvollziehbare Weise ein irrationaler Glaube an die Existenz der Hitler-Tagebücher, der bei Vorliegen der ersten Bände zur Gewissheit gesteigert wurde“, schreibt Seufert. Diese Gewissheit hatte absurde Züge – etwa wenn der mächtige Manfred Fischer vom „geradezu sinnlichen Erlebnis“ sprach, „so ein Ding in der Hand zu halten. Diese Gewissheit, das Tagebuch hat der geschrieben“.

Die Stärke von Seuferts Buch liegt in der unauffällig-nüchternen Erzählweise, die die Akribie des Autors nur erahnen lässt, mit der er den Gang der Ereignisse nachzeichnet. In jedem Stadium der Suche nach den Büchern ist der Leser dabei – aber auch bei den Gesprächen zwischen den internationalen Großverlegern, die aus der fragwürdigen Geschichte die weltweite Topstory machten wollen. Großartig etwa die Schilderung der Kaufgespräche zwischen den Gruner-und-Jahr-Managern Hensmann und Schulte-Hillen und Rupert Murdoch, skurril-schaurig auch Passagen über den Versuch geldgeiler Verlagsleute, aus dem zweifelnden Forscher Trevor-Roper den Segen für ihr Nazizeug herauspressen wollen.

Nur einen Recherchestamm lässt Seufert links liegen: Gab es neben all dem Wahnsinn und Dilettantismus nicht auch einen politischen Aspekt der Geschichte? Was war mit dem bewussten Interesse all der Altnazis um den Heidemann-Freund und SS-General Karl Wolff daran, Hitler reinzuwaschen? In dem etwa aus der Flucht von Rudolf Heß nach England 1941 ein „Friedensflug“ mit Segen des lieben Führers gemacht wurde; überhaupt, indem man den Diktator zum Menschen machte? Gab es einen Altnaziverschwörungsplan, über gefälschte Bücher ein neues Hitlerbild zu schaffen, wie Sereny behauptet? Dass sich der Leser 40 Jahre nach dem Tod des „Führers“ lieber an dessen Darmproblemen und Gossip über Eva ergötzen wollte als an Altbekanntem wie dem Holocaust, kann man annehmen.

Eine andere Lehre aus dem Skandal ist trotzdem wohl die wichtigere. „Die Grenzen zwischen Verlag und Redaktion dürfen nicht verwischt werden“, schreibt Seufert in seinem knappen Resümee. „Es muss immer deutlich sein, wer für was verantwortlich ist. Exakte Recherche und kritische Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse dürfen in Redaktionen nicht durch Glauben und blindes Vertrauen ersetzt werden.“ Beim „Stern“ führte genau dieser Glauben in die Katastrophe – und Kujau und Heidemann ins Gefängnis. Noch während der U-Haft des Reporters wurde seine „Carin II“ versteigert. Nazitölpel Heidemann lebt heute verbittert in Hamburg, alle anderen Beteiligten überlebten den Skandal praktisch unbeschadet. Und die Bücher? Sie verrotten heute im Keller des Verlagshauses Gruner und Jahr in Hamburg.









– Michael Seufert:

Der Skandal um die Hitler-Tagebücher. Scherz Verlag, München 2008. 319 Seiten, 14,90 Euro.

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