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Goetz-Buch "Loslabern": Klatsch und Kritik

Die Krise boomt, das Labern auch: Rainald Goetz berichtet, was im Herbst 2008 alles passiert ist.

Im Taxi, auf dem Weg von der Rowohlt-Buchmessenparty zur Party der Jungen Verlage, gelangt Rainald Goetz mal wieder zu einer Erkenntnis, die ihn kurzzeitig elektrisiert. Er muss daran denken, wie Siegfried Unseld Anfang der achtziger Jahre nach der Durchsicht seines Romans „Irre“ versucht hat, ihm den nur noch aus Gedankensplittern und Fragmenten bestehenden dritten Romanteil auszureden. Goetz jedoch ist standhaft geblieben, und das freut ihn in dieser Frankfurter Nacht enorm. Denn für ihn hat sich genau dieser Teil von „Irre“ im Nachhinein „als eine Art Programmschrift“ seiner Ästhetik herausgestellt. Und diese steht unter der Prämisse „Text und Kritik“, will heißen: Ein Goetz-Buch liefert die Kritik eines Textes, einer Erzählung gleich mit und macht Interviews überflüssig. Ein „praktischer Theoretizismus des Erzählens und Berichtens“, wie Goetz es formuliert: „Am Ende, das wäre das ultimative Buchideal, wäre jeder Satz des Buches auf jede nur erdenkliche Interviewfrage eine mögliche und nicht falsche Antwort, (...), zitieren sie, was sie wollen, Interview ist fertig und auch schon autorisiert.“

Es fragt sich, ob Rainald Goetz, so man sich wirklich einmal ein Interview aus einem seiner Bücher zusammenschneidern würde, dann nicht doch genau darüber schauen wollte. Im Grunde aber ist er sich mit seinem neuen Buch „Loslabern“ treu geblieben, formal wie inhaltlich. Es lässt sich damit gut eine Linie zu seinem 1983 veröffentlichten Roman „Irre“ und insbesondere zu dessen dritten Teil ziehen. „Loslabern“ ist folglich kein Roman, sondern ein „Bericht“, und zwar aus dem Herbst 2008. Er enthält, wiewohl von nur schmalem Umfang, drei Kapitel und diverse Unterkapitel, die mal erzählend und durchaus fiktiv sind, mal berichtend. Oder die aus einer Wochenchronik bestehen, in der Goetz auflistet, was war, aus Gedankensplittern, „antiaffirmationistischen Fragmenten“ wie etwa untereinandergeschriebene Buchtitel von Thomas Bernhard oder Peter Handke, oder Ideen, „die ich nicht weiter vertieft habe und die ich aufbewahre, um bei Gelegenheit über sie nachzudenken.“

Schwerpunkt aber sind drei gesellschaftliche Events, an denen Goetz teilnimmt und von denen er die ihm eigene Mitschrift liefert: die Frankfurter Buchmesse 2008, ein Empfang der „FAZ“ in Berlin sowie ein Abendessen für den mit Goetz befreundeten Künstler Albert Oehlen, ebenfalls in Berlin. Goetz ist hier der Gesellschaftsreporter, mit dem Notizblock in der Hand, der Kamera im Anschlag. Er gibt Klatsch und Tratsch zum Besten, er feiert seine Freunde und Helden, er kann aber auch boshaft und lästerlich sein. Das alles aber passiert immer im Dienst einer höheren Wahrheit, einer Moral des Schreibens, „einer maximalen Ethik der Schrift“, die sich dem Daherreden und Loslabern verdankt.

Wer sich davon verfolgt oder schlecht behandelt fühlt, wie zum Beispiel Daniel Kehlmann, wird sogleich eines Besseren belehrt: „Böse Absicht, sagte ich, mein lieber Daniel, das ist die Poetologie dieser sehr ernsten Nichtscherze bei mir, die öffentliche Figura wird zum Nennwert des von ihr selbst öffentlich Ausgeführten, in Bild und Text aufgeführten, der von ihr selbst durch Mitmachen ratifizierten Imagokonstruktion und meinem Textwolf einfach so zum Fraße vorgeworfen. Guten Appetit.“

Entlarven, aufdecken, durchtexten: Das ist das Goetz-Programm, der eine oder andere irre Spaß inklusive. Dafür verwandelt er sich in zwei Zwischenspielen einmal in einen Jüngling, feat. Christian Kracht, einmal in einen Mönch, fühlt er sich gar als „mitschreibender Mönch“. Am besten funktioniert das dort, wo die wirklich Mächtigen versammelt sind: beim „FAZ“-Empfang. Auf diesem ist Goetz tatsächlich nicht Teil des Betriebs, sondern echter Außenseiter, und hier wird er angeblich von „FAZ“-Mitherausgeber Frank Schirrmacher bezichtigt, sich „eingeschlichen“ zu haben. Goetz analysiert das Sozialverhalten der Macht; er verfolgt die „Basisrealitäten der gesellschaftlichen Konstruktion, in Körpersignale umfunktioniert“, dargestellt von der Kanzlerin und ihrer Umgebung, von Wirtschafts- und „FAZ“-Größen. Passend dazu liefert die Finanzkrise den Rahmen, wie überhaupt für das ganze Buch.

Wie schon zu „Irre“-Zeiten ist Goetz der geradezu manische Zeitungsleser und Medienbeobachter, der natürlich fasziniert verfolgt, wie „die Krise boomt“. Er fühlt sich zu „Zeitmitschriften“ animiert, er verfällt dem „kompletten Diskursirrsinn“ in den Feuilletons, und er versucht einmal mehr, der Gegenwart ihre gegenwärtigsten Momente abzupressen. Nur gibt es da auch noch sein Schreiber-Ich. Trotz der Mitschriften, Listen und Faktensammlungen führt für Goetz an diesem Ich kein Weg vorbei. Es ist es von seiner gnadenlosen Beobachtung nicht ausgenommen, es erschwert ihm manchmal gar seine Aufgabe.

Denn auch dieses Ich ist in die Jahre gekommen und hat eine nicht ganz unkomplizierte Geschichte: die des Schriftstellers Goetz, der sich nicht nur seiner „Irre“–Zeit oder ersten Buchmessenauftritte erinnert, sondern für den nach den fast rauschhaften neunziger und „Abfall-für-alle“-Jahren die nuller Jahre ein Krisenjahrzehnt fast ohne Buch darstellten. In dieser langen Zeit versuchte Goetz sich an einem Roman über den Politikbetrieb, hatte er sich, wie er gesteht, „ganz und gar in die Falschheit verrannt“.

Auch davon berichtet „Loslabern“. Davon, wie Goetz erkennen musste, nicht mal „eine ordentliche Politreportage“ schreiben zu können. Oder wie er sich erst mit Hilfe von Ulf Poschardt und seinem „Vanity-Fair“-Blog „Klage“ aus dieser Krise befreien konnte. „Loslabern“ hat demnach auch etwas von einer Befreiung, einem Sichwiederfinden. Was Rainald Goetz wiederum auf der Buchmesse 2009 geradezu zelebriert hat, so zugewandt, so ausgeglichen und aufgeräumt präsentierte er sich dort. Gut möglich, dass dem Bericht aus dem Herbst 2008 bald weitere folgen werden.

Rainald Goetz: 

Loslabern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009.

187 Seiten, 17, 80 €.

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