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Hermann Peter Piwitt: Der Spaziergänger von Hamburg

Angriffslustig: Hermann Peter Piwitt und sein Skizzenbuch "Heimat, schöne Fremde".

Man könne in Hamburg jede Farbe verkaufen, Hauptsache es sei Dunkelblau, spottete der in Paris wirkende Couturier Karl Lagerfeld über seine Heimatstadt. Eine ähnliche maliziöse Hassliebe prägt auch das Verhältnis des Schriftstellers Hermann Peter Piwitt zur „Seestadt“, in der er 1935 geboren wurde und seit gut vier Jahrzehnten wieder lebt. „Kein europäischer Handel erzielt höhere Umsätze im Chinahandel. Doch geografisch und kulturell ist die Stadt Randerscheinung“, schimpft Piwitt und beleidigt die bevorzugt Harris-Tweed tragenden Hanseaten gleich mit: „Englisch gibt man sich und glaubt sich schon weltoffen dabei. Und ist nur stilunsicher aus Mangel an einer selbstsicheren regionalen Kultur.“

Erfrischend angriffslustig gibt sich der elegante Stilist Piwitt in diesen „Geschichten und Skizzen“, die zu seinem 75. Geburtstag an diesem Donnerstag erscheinen. Der Band enthält unveröffentlichte und ältere Texte in drei Abteilungen: „Da die schöne Welt vergeht“, „Unterweg“ und „Der Stand der Dinge“. Stadt- und Welterkundungen ergänzen sich zur Bilanz eines scharfen Beobachters mit ungeduldigem Herzen. Besonders reizvoll ist der Vergleich zweier Rundgänge, die Piwitt 1975 und 2008 durch sein Wohnviertel unternahm. Schon damals drangsalierten Halbwüchsige ein brütendes Schwanenpaar, heute sind Spatzen und kleine Einzelhändler von Pseudo-Kulturschaffenden in entsprechenden In-Kneipen verdrängt worden. Dennoch blitzt immer wieder grimmige Heiterkeit auf.

Seit seinem Debüt „Herdenreiche Landschaften“ von 1965 gilt der frühere Rowohlt-Lektor, der Schriftsteller, Essayist und linke Skeptiker Hermann Peter Piwitt als originäres Talent. Er vertritt eine formal offene Ästhetik, in die das – vom kapitalistischen Sein bestimmte – Bewusstsein der Gegenwart hineinspielt. Deshalb müssen sich seine Protagonisten, meist melancholische Geistesarbeiter und Italien-Liebhaber, stets mit einem zweiten kollektiven Ich auseinandersetzen, mit dem „katastrophal Bestehenden“. Führte das schon in Romanen wie der d’Annunzio-Entgegnung „Die Passionsfrucht“ (1993) zu einem Wahrnehmungsboykott aus Verdruss, so steigerte sich diese Haltung 2006 in dem Roman „Jahre unter ihnen“ zu einer verzweifelten Realitätsverweigerung, zu einem Reigen der gedanklichen Sackgassen, der Abbrüche und Abschieds-Miniaturen.

Allen Menschen, denen der von Obdachlosigkeit bedrohte Erzähler aus „Jahre unter ihnen“ auf seinen Streifzügen durch Hamburg begegnet, sind „Winterreisende“ im Sinne Franz Schuberts. Dem realen Autor ergeht es nicht anders, als ihn eine junge Behinderte um eine Zigarette bittet und dabei ihre Lebensgeschichte loswerden will. Auch Italien, das Piwitt in seinem Werk stets zum „Süden des Herzens“ verklärt hat, kann ihm keine wahre Wahlheimat mehr sein. Ernüchtert prangert er das fehlende Umweltbewusstsein der Italiener in dem Text „Drei Seen“ an – seit langem verbringt der Binnengewässer-Liebhaber einen Teil des Jahres am Lago Trasimeno in Umbrien.

In Deutschland sieht es nicht besser aus. „Das Land ist hässlich geworden“, konstatiert der unabhängige Linke, den seine kurzzeitige politische Heimat DKP als „linksbourgeoisen Flaneur“ etikettierte: „Die Nationen sind zu Verwaltungszonen des internationalen Kapitals geworden. Und man hat gelernt, die Kriege, die man früher, auch auf dem Fußballplatz, führte, im Aufputz des Nationalen zu spielen. In Kriegsbemalung, mit Hymnen und HipHop, treffen sich die Stämme nach Maßgabe der einzigen Qualität, die sie interessant macht: als Verbraucher.“

Stets spricht aus Hermann Peter Piwitts Sätzen auch das verwundete Bewusstsein desjenigen, der als Kind den elementaren Schrecken des Zweiten Weltkriegs erlebt hat. Der Boden, auf dem dieser Autor und seine versehrten Glückssucher wandeln, ist wie in Georg Büchners „Woyzeck“ hohl. Piwitts eigentlicher Gewährsmann aber ist der Spaziergänger nach Syrakus, Johann Gottfried Seume. Mit Seume im Kopf, einem Freigeist wie er selbst, streift er durchs Weserbergland, eine etwas vergessene Region, der seine Sympathie gilt. Wir wünschen Hermann Peter Piwitt noch viele Erkundungen dieser Art und gratulieren herzlich nach Hamburg.

Hermann Peter

Piwitt: Heimat, schöne Fremde.

Geschichten und

Skizzen. Wallstein, Göttingen 2010.

248 Seiten, 19,90 €.

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