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Hör BÜCHER: Gott ist mir zu groß

Jens Sparschuh lauscht am Kaminfeuer bewegenden Korrespondenzen

Briefe? – Nur zur Erinnerung: „Brief (v. lat. breve, ‚kurzes Schriftstück’), schriftliche Mitteilung an abwesende Personen, also dem inneren Wesen nach ein Surrogat für das Gespräch.“ Nach dieser Aufklärung durch den 1886er Meyer wundert es nicht, dass gerade Briefwechsel sich in der Hörbuchbranche großer Beliebtheit erfreuen. An der Schnittstelle zwischen privater Mitteilung und allgemeiner Reflexion materialisiert sich in Briefen, Tinte auf Papier noch am ehesten, wie Menschen miteinander gesprochen haben. Ein Zeitalter und seine Protagonisten werden lebendig, die graue Vergangenheit beginnt auf einmal zu sprechen.

Manchmal gerät man dabei als Zuhörer allerdings in die fragwürdige Position eines Zaungastes, der unhöflich die intime Zwiesprache zweier Menschen belauscht. „Geliebte Fortuna“ heißt eine Liebesgeschichte in Briefen (kaleidophon, 2007), die vom Werben des Vormärzdichters Georg Weerth um Betty Tendering handelt. Nicht nur Briefe gehen da hin und her – überhaupt geht es zwischen den beiden heftig hin und her. Zwar antwortet sie ihm sieben Mal auf seine insgesamt 13 Briefe (die Chancen stehen also ein bisschen besser als fifty-fifty), aber schließlich wird klar, dass es ein kleines, unlösbares Problem gibt: Sie liebt ihn einfach nicht.

Sehr hörenswert – vielleicht nur, dass die szenisch untermalenden Signale manchmal etwas zu sporadisch gesetzt sind: Beim Knacken des Kaminfeuers (Track 9) dachte ich zunächst, meine CD hätte einen technischen Defekt.

Eher akademisch geht es seinem Wesen nach im Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Walter Benjamin zu (speak low, 2006). Auch ohne alles Vorwissen ahnt man, dass der eine es schaffen wird, der andere aber auf der Strecke bleibt. Bewundernswert, wie Hanns Zischler Adornos professoralen Tonfall trifft oder Martin Wuttke bei einer feingliedrigen philologischen Textanalyse, als es einen Dissens mit Adorno gibt, seiner unterdrückten Erregung in einem ganz leisen, kaum vernehmbaren Vibrieren der Stimme Ausdruck verleiht. Überhaupt: diese Sprache! Die aus Deutschland Vertriebenen hatten, das kann man hier hören, in ihrem spärlichen Exilantengepäck das klarste, reinste Deutsch, das man sich denken kann. Kein Vergleich zu dem, was damals in Deutschland den Ton angab.

Hitlers Stimme, so schreibt Kurt Tucholsky am 4.3.1933 an Walter Hasenclever nach einer Radioübertragung, „riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst geht’s. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts nichts.“ (Dieter Mann liest Kurt Tucholsky: Wenn tot, werde ich mich melden, Briefe aus der Emigration, Eulenspiegel, 2007). Tucholsky war, wie Walter Mehring schrieb, „der Briefschreiber par excellence des Deutschland zwischen den zwei Weltkriegen.“ Es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig. Ohne Arbeitserlaubnis im schwedischen Exil, isoliert in einem fremden Sprachraum, waren ihm Briefe die letzte verbliebene Kommunikationsform, sie wurden im existenziellen Sinne zu dem, was sie nach der Meyer-Definition sind: Gesprächsersatz.

Auch wenn sich Tucholsky selbst am Ende seiner Briefe oft als einen „aufgehörten Dichter“ bezeichnete – seine Briefe beweisen das Gegenteil. Sie funkeln vor Ironie, sind stilistisch brillant, enthalten rasch hingeworfene Reflexionen ebenso wie detaillierte Analysen. Er schreibt über Gott („Gott ist groß, mir zu groß“) und die Welt (Paris: „Hier ist man nicht einsam, wenn man allein ist.“). Manch eine seiner Feststellungen ist von erstaunlicher Aktualität: „Der Sozialismus wird erst siegen, wenn es ihn nicht mehr gibt.“

Walter Hasenclever, der langjährige Briefpartner, bestand darauf, dass seine Briefe vernichtet werden; Tucholsky kam dem, wenn auch mit Bedauern, nach. Ein kleiner, kaum erwähnenswerter literaturhistorischer Zufall – für dieses Hörbuch aber hat das Fehlen der Antwortbriefe eine merkwürdige Konsequenz: Zwangsläufig rückt so der Hörer an die Stelle des Adressaten. Vielleicht ist es das, was diesen großen Briefmonolog derart eindringlich macht.

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