zum Hauptinhalt
Jens Sparschuh

© Wolff

Hörbücher: Der Kaffee muss kalt bleiben

Jens Sparschuh begrüßt das Leben jenseits der Festanstellung.

Termin bei der Personalchefin. Sie hat gute Nachrichten! Der Vertrag für die Festanstellung ist schon aufgesetzt. Das hört sich nicht schlecht an: 70 000 € Einstiegsgehalt, 32 Tage Urlaub, Dienstwagen, eigenes Büro natürlich … Und was sagt der verdutzte Mitarbeiter dazu? – „Ach, Mensch, was machen wir denn da? Wie soll ich sagen, bei aller Liebe, aber: nee!“ Und im Hinausgehen knurrt er noch verächtlich: „… Festanstellung.“ Ist dieser Mensch denn von allen guten Geistern verlassen?

Dieser Frage gehen Holm Friebe und Sascha Lobo in „Die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ (Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2007) nach. So verwunderlich die Eingangsszene auch klingen mag: Die Zahl derer, die sich gegen abhängige Lohnarbeit entscheiden, die nicht den staubigen Büroweg geringsten Leids gehen wollen, sondern den Weg größter Freude, die sich entschließen, ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen, wächst.

Es ist die aufregende Geschichte eines neuen Abenteurertums, die in diesem spannenden Hörbuch erzählt wird. Auferstanden aus den Trümmern der New Economy, frustriert von den Ritualen des normalen Arbeitsmarktes, wo Flexibilität zu bedingungsloser Anpassungsbereitschaft verkümmert, meldet sich hier eine neue Generation von Freelance- Cyber-Pionieren zu Wort. Sie hat es satt, sich in der vagen Hoffnung auf eine Festanstellung von Praktikum zu Praktikum verschaukeln zu lassen und in den Vorstellungsgesprächen all jene idiotischen Spielregeln zu befolgen, die entsprechende Ratgeberbücher vorschreiben: Wird dir eine Tasse Kaffee angeboten – unbedingt annehmen, es könnte sonst zickig wirken. Wichtig jedoch: Du musst den Kaffee auf jeden Fall kalt werden lassen. Das unterstreicht, dass du vor allem Interesse an der Arbeit hast … und so weiter.

Das ist, um streng im Bilde zu bleiben, kalter Kaffee – kein Wunder, dass hoch qualifizierte junge Menschen solche Spielchen nicht länger mitspielen wollen. Was dieses engagierte, nervöse Manifest – passend vor der akustischen Kulisse eines Berliner Internetcafés aufgenommen – so beeindruckend macht: Es ist radikal. Während eine frühere Gegenkultur sich entsagungsvoll in Konsumverweigerung übte, geht es Friebe und Lobo nicht um eine andere Art der Verteilung, sondern um das, was aller Konsumtion zugrunde liegt: um die Produktion.

Die moderne, digitale Technik schafft einen völlig neuen Arbeitsbegriff oder, um es nun doch einmal im alten, kampferprobten marxistischen Vokabular zu formulieren: Die modernen Produktivkräfte verändern revolutionär die Produktionsverhältnisse, damit sie sich frei entfalten können. Wem das nicht anschaulich genug sein sollte, die Autoren erklären es an einem einfachen Beispiel: In den siebziger Jahren wurde der Campus der Universität Oregon neu gestaltet. Zuerst wurde im gesamten Areal Rasen gesät. Dann beobachtete man, wo überall Trampelpfade entstanden. Diese kürzesten und bequemsten Wege wurden schließlich gepflastert, so entstand ein Campus-Wegenetz, das sich den Lebens- und Arbeitsbedürfnissen der Menschen anpasste – und nicht umgekehrt.

Aufschlussreich ist auch ein anderes Beispiel: Während in der „realen“ Welt Einzelhandelsfachgeschäfte mit ihrem Spezialsortiment von großen Discount-Märkten verdrängt werden, findet man das Besondere, Individuelle heute immer öfter in der anderen Realität des Internet, wo es „on demand“ abrufbar ist.

Manch eine der angeführten Zukunftsperspektiven scheint mir allerdings eher ein Horrorszenario zu sein. Wenn Computerspiele, weil sie in ihrer Komplexität sowohl sensorische als auch motorische Hirnfunktionen aktivieren, gegen Bücher ausgespielt werden sollen, dann muss ein Vertreter des vergangenen Jahrhunderts (ich!) einfach den ergrauten Kopf schütteln.

Die Behauptung, „… dass Bücher auf tragische Weise einsam machen“, scheint mir jedenfalls ebenso schlüssig zu sein wie jene kryptische Botschaft, die einst ein namenloser Schöpfer ins Holz meiner Schulbank geritzt hatte: „Lesen macht dumm! Warum? Weil das Alphabet bloß 26 Buchstaben hat.“

Zur Startseite