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Hörbücher: Diktatur des Suffs

Jens Sparschuh bildet sich mit viel Alkohol weiter.

Laut, schrill und schräg – so klingt die absolut stimmige Hörspielmusik, die Gerd Bessler zu Oliver Stumms rasanter MDR-Inszenierung von Marina Lewyckas lautem, schrillen und schrägen Roman „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ (Der Hörverlag, 2007) beigesteuert hat: Ewig versucht da ein Traktor anzuspringen; dann gibt es noch herzerschütternde Folklore, die aber genau im richtigen Moment, bevor es rührselig werden könnte, abgewürgt wird. Die Geschichte selbst ist schnell erzählt. Der 84 Jahre alte Nikolaj Majewski stammt aus der Ukraine. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs lebt er in England. Er, ein berenteter Ingenieur, verwitwet, beschäftigt sich mit der Geschichte des Traktors in der Ukraine. So weit, so gut. Doch dann tritt eine Valentina in sein Leben, 36 Jahre alt – und ein ukrainisches Busenwunder! Sie heiraten.

Nach Lage der Dinge hätte das leicht zur Klamotte werden können – und ein bisschen Klamotte ist das ja auch, zumal Majewski in seinem neuen Eheglück unglücklicherweise altersbedingte Potenzgebrechen („schluffi-schlaffi“) an sich erspäht, was Valentina aber nicht die Bohne interessiert. Ihr steht der Sinn eher nach einem neuen Auto. In Telefonaten kommentieren Nikolajs Töchter (Lena Solze und Elisabeth Trissenaar) das turbulente Geschehen rund um Papa und die junge böse Stiefmutter. Nikolaj (Traugott Buhre!), als Techniker, weiß: „In der Liebe ist es wie in der Luftfahrt: alles eine Frage der Balance.“ Als schließlich alles aus dem Lot gerät, greift das Schwesternpaar, das bis dahin den Part eines kopfschüttelnden griechischen Chores versehen hatte, aktiv ins Geschehen ein. Ein Privatdetektiv soll herausfinden, ob es sich hier um die späte große Liebe handelt oder nicht doch bloß um eine Aufenthaltsgenehmigung. Genrespezifisch nimmt alles ein gutes Ende – ein 68-Minuten-Kurzlehrgang über die Geheimnisse ukrainischer Frauen und Traktoren.

Weiterbildung in puncto Wodka liefert Günter Kotte mit „Na sdorowje“ (Eulenspiegel, 2007). An einer Stelle wird in diesem Feature von der „Entdeckung“ des Wodkas gesprochen, als sei der Wodka keine menschliche Erfindung, sondern so etwas wie eine Naturerscheinung. Das passt zum mythischen Status, den dieses Nationalgetränk der Russen hat. Selbst zu Sowjetzeiten war Wodka kein Problem: Es gab ihn überall, man soff ihn in Mengen. Das Problem war allein der Flaschenverschluss. Während es heute praktische Drehverschlüsse gibt, wurde damals einfach die dünne Alukappe abgerissen – und fertig. Wiederverschließbar waren die Flaschen nicht. Wozu auch.

Kein Wunder, dass sowohl Lenin als auch Gorbatschow scheitern mussten. Lenin, so lernt man, wollte neben der Diktatur des Proletariats auch eine „Diktatur der Nüchternheit“ einführen, und der Generalsekretär Gorbatschow wurde vom Volk nur noch abschätzig „Mineralsekretär“ genannt, als er den Russen Obstsaft und Mineralwasser verordnete. Wenn man in diesem Hörbuch erfährt, dass jährlich in Russland nahezu 40 000 Menschen an selbst gebranntem Wodka sterben, ahnt man, wie Gorbatschow auf diese verzweifelte, politisch selbstmörderische Idee verfallen konnte.

„Wodka“, meint der langjährige Ostexperte Ivan Rebroff, „macht aus allen Menschen Russen.“ Ich grüble, wie die Umkehrung heißen könnte: Macht kein Wodka etwa aus allen Russen wieder Menschen? Putin steht bekanntermaßen spirituellen Dingen wie Wodka und Demokratie kritisch gegenüber.

Von der ernüchternden Bilanz seiner Regierungszeit erzählt Elena Tregubova: „Die Mutanten des Kreml“ (Hoffmann und Campe, 2007). Dazu empfehle ich – eisgekühlt – den besten russischen Wodka, der hierzulande zu bekommen ist; den braucht man aber auch. Während in China der landestypische Schnaps in der wörtlichen Übersetzung völlig zutreffend „Volksruhe“ heißt und man es sich in Deutschland mit „Kleiner Feigling“ wohlsein lässt, wird dieser kristallklare Wodka – er ist milchgereinigt, und da die Milch die Fuselstoffe fast vollständig abbindet, ist er absolut transparent und lupenrein – allerdings unter einem etwas merkwürdig anmutenden Namen vertrieben: „Parlament“.

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