zum Hauptinhalt
Indianer

© Verlag

Indianer in der DDR: Das rote Reservat

Wilder Westen in Deutschlands Osten: Ein Veteran und ein Buch verraten, warum in der DDR die Indianerkultur blühte.

Kolumbus suchte die Inder – und fand die Indianer. Bei Hartmut Felber war es ähnlich. Er träumte von Indianern – und bekam Chinesen. Seit ein paar Jahren wird Felbers Haus im Nordberliner Randstädtchen Hohen Neuendorf von der „Himmelspagode“ überragt, einem absurd überdimensionierten China-Restaurant mit Zeltdach, das Busladungen von Touristen aus dem Umland anzieht.

Felber hat nichts gegen Chinesen. Bloß wäre ihm ein Tipi lieber gewesen.

Was will man auch erwarten von einem „politisch unausgereiften, teilweise von Wunschvorstellungen geprägten Menschen“, der „weltanschaulich zu den Grünen in der BRD tendiert“? Die Charakterisierung stammt aus Felbers Stasi-Akte. Der junge Lehrer war den Behörden aufgefallen, weil er mit besorgniserregendem Eifer einem in der DDR weitverbreiteten Hobby fröhnte: Felber war „Indianist“.

Er ist es, um genau zu sein, bis heute. Vor seinem Einfamilienhäuschen lehnen Tipi-Stangen am Zaun, die Garage hat Felber mit indianischen Ornamenten bemalt. Immer noch trifft sich der athletische Endvierziger mit Gleichgesinnten in Zeltlagern, regelmäßig führt er die alten Indianertänze auf. Die Stasi mischt heute nicht mehr mit, dafür die bundesdeutsche Bürokratie: „Feuerwaffen, Tomahawks, Adlerfedern“, zählt Felber auf, „da hat sich früher niemand drum geschert. Heute gibt’s für alles Vorschriften.“

Um die 1000 Aktivisten trafen sich auf dem Höhepunkt der Bewegung in den achtziger Jahren regelmäßig zur „Indian Week“, einem jährlich an wechselnden Orten stattfindenden Zeltlager. „Es war eine Art Flucht“, sagt Felber. „Da hat man sich seelisch und moralisch aufgebaut für die Zeit zwischen den Camps.“

Warum sich gerade die Ostdeutschen so gerne mit den Ureinwohnern Nordamerikas identifizierten, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben – auch wenn zwei junge Autoren, der Westler Friedrich von Borries und der Ostler Jens-Uwe Fischer, nun ein Buch zum Thema geschrieben haben: „Sozialistische Cowboys“ heißt es. Vielleicht sei die Ausgangslage der Indiander und der Zonenbewohner ähnlich gewesen, sinniert dort einer der ehemaligen Aktivisten: „Wir lebten in der DDR ja auch in einem Reservat.“

Dabei stand es nach dem Krieg zunächst schlecht um das indianische Erbe Ostdeutschlands. Selbst Radebeul, die Geburts- und Kultstätte des deutschen Wildwest-Pioniers Karl May, geriet in der frühen DDR unter Ideologieverdacht. Die „Dresdner Volksstimme“ beschimpfte den Schriftsteller als „übelsten literarischen Giftmischer“, in der „Berliner Zeitung“ hieß es, May sei „ein Wegbereiter faschistischer Gesinnung“ gewesen, dessen „superdeutsche Supermänner“ die Jugend „zu einer unhumanistischen, barbarischen Haltung“ erzögen. Legendär ist in Indianisten-Kreisen die Geschichte des DDR-Kulturfunktionärs, der den Zeltfreunden vorschlug, statt Indianern doch lieber sibirische Felljäger zu spielen – die hätten auch so etwas wie Tipis.

Gegen die Wildwest-Abneigung der Parteioberen ließ sich allerdings Friedrich Engels ins Feld führen, der in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ viel Lob für die Wirtschaftsform der Irokesen fand: „Die Haushaltung ist kommunistisch, der Boden ist Stammesbesitz.“ Die Indianerfreunde entwickelten aus dieser Ambivalenz eine ideologische Rochade. Sie erklärten die unterdrückten Ureinwohner Nordamerikas kurzerhand zu Pionieren im Kampf gegen den Imperialismus. Noch Hartmut Felber schrieb in den achtziger Jahren in der Abschlussarbeit seines Lehramtsstudiums, Ziel der Indianistik sei die Erforschung der „um ihr Überleben kämpfenden Indianer im Gesamtkomplex des antiimperialistischen Befreiungskampfes“. Der Trick funktionierte schon in den Anfangstagen der DDR so gut, dass 1956 in Radebeul die erste offizielle „Kulturgruppe für Indianistik“ registriert werden konnte. Deren Leiter Johannes „Powder Face“ Hüttner, avancierte zum ersten Häuptling der DDR.

Die Partei brauchte etwas länger, um das klassenkämpferische Potenzial der Indianer zu entdecken. Mit „Die Söhne der großen Bärin“hatte Liselotte WelskopfHeinrich bereits 1951 den wohl populärsten Indianerroman der DDR geschrieben, doch erst 1966 durfte die DEFA das Buch auch verfilmen. In der Hauptrolle des jungen Häuptlings Tokei-Ihto brillierte der Jugoslawe Gojko Mitic, der nach dem immensen Erfolg des Films zum Oberindianer der DEFA aufstieg – und zum größten Filmstar der DDR. Mütter benannten ihre Kinder nach ihm, die Band Express widmete ihm den Song „Ein Wigwam steht in Babelsberg“.

Es folgten viele weitere Indianerfilme, meist nach ähnlichem Muster: ein fesselnder Plot, dazu ein Schuss politische Ökonomie. In „Spur des Falken“ (1968) will ein weißer Bodenspekulant (!) die Sioux von ihren angestammten Bergen vertreiben, um die dort gelagerten Ressourcen (!) auszubeuten. Um den Sioux ihre Lebensgrundlage zu entziehen (!), schlachtet er ihre Büffelherden ab. Häuptling „Weitspähender Falke“ (Mitic) führt die Sioux schließlich in den Klassenkampf gegen den imperialistischen Ausbeuter. Quod erat demonstrandum.

Schwerer als die Indianisten hatten es gerade wegen solcher Filme die CowboyFans der DDR. Ihre Vorbilder standen nachweislich auf Seiten der Imperialisten. Auch sie zogen sich mit einem Kniff aus der Affäre: Bald entstanden die ersten „Kulturgruppen zur Brauchtumspflege des amerikanischen Landproletariats“.

So ganz geheuer war der Partei die Sache aber doch nicht, zumal die Indianisten-Gruppen schnell zu Sammelbecken für Umweltschützer wurden. 1985 hieß es in einer Lageeinschätzung der Stasi: „Bei den Indianerfreunden handelt es sich um eine übernational gesteuerte Vereinigung, über die sozialismusfeindliches Schriftgut eingeschleust wird.“

Auch Felber, der 1980 in Hohen Neuendorf einen Mohawk-Stamm gründete, erregt wegen mehrerer Umweltkampagnen den Unwillen des Staatsschutzes. Als 1982 in Amerika der Irokese John Sotsisowah seine zivilisationskritische „Botschaft an die westliche Welt“ publiziert, ist Felber wie vom Blitz getroffen. Er liest die Worte des fernen Stammesbruders als Aufruf, in dem „sowohl mit dem westlichen als auch mit dem sozialistischen System abgerechnet“ wird, erinnert er sich. „Ich fand das toll. Ich dachte: Das muss doch bekannt gemacht werden.“ Felber geht zur Stadtverwaltung, um eine Vervielfältigungsgenehmigung zu beantragen. Lassen Sie’s mal hier, sagen die Beamten, wir melden uns. Am nächsten Tag bittet die Stasi Felber zum Gespräch. Er kommt mit einer Verwarnung davon.

Bei den echten Indianern in Amerika ist Felber nie gewesen – auch nicht, seit das rote Reservat in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist. „Ich bin nicht so der Weltreisetyp“, sagt er. Andere fuhren hin – und kamen desillusioniert zurück. Felber erinnert sich an den Chief eines Klubs in Brandenburg, der die härtesten Aufnahmerituale der ganzen DDR praktizierte. Nachdem der Mann auf einer USA-Reise die tristen Lebensverhältnisse in den Reservaten kennengelernt habe, sei er nie wieder im Federschmuck gesehen worden. Felber wäre das nicht passiert, sagt er. Wie die Indianer in Nordamerika tatsächlich lebten, sei ihm immer bewusst gewesen. „Es kamen ja nach der Wende viele aus den Reservaten hierher zu Besuch. Bei denen hatte sich rumgesprochen: Ostdeutschland ist Indianerland.“

Über die Gründe für diese abwegige Wahlverwandtschaft seien „ganze Doktorarbeiten“ geschrieben worden, sagt Felber. Eine einfache Antwort könne es wohl nicht geben. In alten indianischen Legenden, sagt er, sei mitunter die Rede von einem verlorenen weißen Brudervolk, mit dem man lange in Harmonie gelebt habe, bevor die Weißen eigene Wege gingen. Wenn man sich nun die Geschichte der Völkerwanderungen ansehe, sagt Felber, dann sei da ja noch lange nicht alles erforscht. Die Ostdeutschen, das verlorene Brudervolk der Indianer? „Das wäre zu weit gegriffen“, sagt er zögernd. Und fügt leise hinzu: „Aber wer weiß?“

Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer: „Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands“ (Suhrkamp 2008, 220 Seiten, 10 €). – Buchvorstellung am Dienstag, den 2. 6., 20 Uhr im „Bassy Cowboyclub“ (Schönhauser Allee 176 a, Prenzlauer Berg), mit Indianertänzen von Hartmut Felber und einem Konzert des DDR-Country-Stars Harald Wilk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false