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Fritz Bauer

© dpa

Irmtrud Wojaks Biografie von Fritz Bauer: Nicht nur Beihilfe

Der Mann der Auschwitzprozesse: Irmtrud Wojaks Biografie von Fritz Bauer. Vier Jahrzehnte hat es gedauert, bis die erste Biografie des Mannes erscheint, der entscheidend zur konsequenten Verfolgung von Naziverbrechen beigetragen hat.

Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1968 starb, schrieb die „Frankfurter Rundschau“ in ihrem Nachruf: „Es fehlen die Worte. Man könnte Bücher über den Generalstaatsanwalt schreiben, die Biografen werden es auch noch tun.“ Weit gefehlt: Vier Jahrzehnte hat es gedauert, bis jetzt die erste Biografie des Mannes erscheint, der – oft gegen den Widerstand seiner Standesgenossen – die konsequente Verfolgung der Naziverbrechen durch die Justiz der Bundesrepublik durchgesetzt hat. Er hat damit nicht nur ein wesentliches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte geschrieben. Durch seine Hinweise zur Ergreifung Adolf Eichmanns hat er auch dazu beigetragen, das dunkelste Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte vorläufig abzuschließen. Vorläufig im guten Sinne, denn es gibt nach der vermeintlichen „Endlösung der Judenfrage“ wieder eine jüdische Geschichte in Deutschland, die Aussicht hat auf ein besseres Ende hat.

Die Lebensgeschichte Fritz Bauers ist, bei aller Tragik seines frühen Todes mit nur 64 Jahren, ein Teil davon. Es war mit Fritz Bauer der einst jüngste Amtsrichter Deutschlands, von den Nationalsozialisten aus seinem Amt und aus dem Land getrieben, der mit seiner Rückkehr als oberster Ankläger der NS-Verbrechen seiner schwierigen deutschen Heimat „im Ausland viel Ehre verschaffte, unverdient von uns“. So hat es in einem weiteren Nachruf der Schriftsteller Horst Krüger mit Blick auf den Frankfurter Auschwitz-Prozess formuliert . Dieser Prozess mag nicht die von Bauer verfochtene Rechtsauffassung durchgesetzt haben, aber er hat wenigstens ein Zeichen von Gerechtigkeit jenseits des bloßen Rechtspositivismus gesetzt.

Es war auch nicht der erste und nicht der letzte NS-Prozess, den Fritz Bauer als Ankläger ermöglicht hat – man denke an das Verfahren zum 20. Juli gegen den Kommandeur des Wachbataillons „Großdeutschland“ Otto Ernst Remer und die Verfahren gegen die „Euthanasie-Ärzte“ –, und nur die wenigsten gingen in seinem Sinne aus. Aber für sie alle gilt, was Bauers Biografin Irmtrud Wojak über den spektakulärsten seiner Prozesse schreibt: „Die Bedeutung des Auschwitz- Prozesses lag und liegt zunächst einmal darin, dass er überhaupt zustande kam.“

Es waren zunächst mehrere Zufälle – Aktenfunde in Breslau, die bisher unbekannte Namen von Tätern enthielten und die Anzeige eines ehemaligen KZ-Häftlings, der seinen Peiniger Wilhelm Boger ausfindig gemacht hatte –, die das ermöglichten. Aber es bedurfte nach anfangs noch zögernden Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft der Tatkraft Fritz Bauers in Frankfurt, in viereinhalbjähriger Arbeit sämtliche Aktenvorgänge, die das Vernichtungslager Auschwitz betrafen, zu bündeln und zur Anklage zu bringen. Fast 1000 Verfahren waren in der Vorermittlung anhängig, nahezu 1500 Zeugen wurden ausfindig gemacht, bis es zur Anklageerhebung im ersten Auschwitz-Prozess 1963 kam; der zweite folgte 1965.

Fritz Bauer schaffte es sogar, die Frontlinien des Kalten Krieges zu durchbrechen und zumindest eine Kooperation mit Staatsanwälten der DDR und Polens zustande zu bringen, auch wenn die DDR die Teilnahme an einer gesamtdeutschen Kommission ablehnte, die Bauer vorgeschlagen hatte. Immer wieder sah sich Bauer politischen Angriffen ausgesetzt, nicht nur von Betroffenen, die sich bei Bundeskanzler Adenauer über die „jüdische Clique in Frankfurt“ oder „brutale Verfolgungsmaßnahmen“ des hessischen Generalstaatsanwalts beklagten. Ein Interview, in dem er die Rechtsentwicklung in den „Westzonen und in der Ostzone nach 1945“ verglich, trug ihm den Vorwurf Alfred Dreggers im Hessischen Landtag ein, „dass er ungeeignet erscheine, Generalstaatsanwalt zu sein“. Da hatte man schon vergessen, dass der Sozialdemokrat Bauer seinerzeit aus guten Gründen ein Angebot als Generalstaatsanwalt in Leipzig abgelehnt hatte.

Es ist wahr, dass er ohne die schützende Hand des hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn kaum Erfolg gehabt hätte. Es war Zinn, der ihn aus Braunschweig, wo er seit 1949 als Landgerichtsdirektor und Generalstaatsanwalt amtiert hatte, nach Hessen holte. Für Bauer ging es dabei nicht um Karriere, sondern um eine solide Basis für sein Projekt, die Aufklärung von NS-Verbrechen in komplexen Verfahren zu bündeln und öffentlich wirksam zu verhandeln. Proben seiner Vorgehensweise hatte er schon in Braunschweig gegeben, wenn er in großem Umfang Sachverständige – gewissermaßen als Zeugen der Anklage – in die Verfahren einführte und seine Plädoyers zum Tribunal werden ließ. Das hat ihm gelegentlich den Vorwurf eingebracht, er sei mehr Politiker als Jurist gewesen, der seine Prozesse politisch und volkspädagogisch „instrumentalisierte“. Sein Plädoyer im Remer-Prozess schloss er mit Schillers „Wilhelm Tell“, um dem Vorwurf des Hochverrats gegen die Männer des 20. Juli das Recht auf Widerstand entgegenzusetzen: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht …“ Daraus folgte sein vielzitierter Grundsatz: „Ein Unrechtsstaat wie das ,Dritte Reich’ ist überhaupt nicht hochverratsfähig.“

Ein zweiter Grundsatz, den er in vielen Verfahren verteidigte, war sein Verständnis der NS-Taten als Massenverbrechen, deren sämtliche Teilnehmer damit als Mittäter strafbar seien. Dem hielt der Bundesgerichtshof – wie schon das Frankfurter Schwurgericht – entgegen, dass es sich in Auschwitz „nicht um einen festumgrenzten, abgeschlossenen Tatkomplex eines einzigen bestimmten Täters, sondern um Tötungen aus den verschiedensten Beweggründen, zum Teil auf Befehl, zum Teil durch eigenmächtiges Handeln, zum Teil als Täter, zum Teil als Gehilfe“ gehandelt habe. Deshalb kam es in vielen Fälle, in denen Bauer auf Tatbeteiligung plädierte, zur bloßen Verurteilung wegen Beihilfe; so auch in seinem letzten Verfahren, dem Darmstädter Einsatzgruppenprozess. Das für ihn zweifellos enttäuschende Urteil, das auf Beihilfe befand, hat er nicht mehr erlebt.

Während er als Staatsanwalt die Öffentlichkeit suchte, hat er sie als Privatmann gemieden. Nur wenig weiß seine Biografin über sein Privatleben zu berichten: seine „Schutzehe“ mit einer Dänin, seine Männerfreundschaft mit Thomas Harlan (dem Sohn des NS-Regisseurs Veit Harlan), seine Vorliebe für Kunst und Design der Bauhaus-Schule. Am meisten noch über die Kinderjahre in Stuttgart, aus denen er selbst eine Schlüsselszene berichtet hat. Auf die Frage, was Gott sei, habe ihm seine Mutter geantwortet: Das wisse sie selbst nicht, „aber es gibt einen Satz, der gibt dir die Antwort fürs ganze Leben: Was du nicht willst, dass dir man tu, das füg auch keinem andern zu. Dieses Wort hat sich so tief in mich eingeprägt, dass es eigentlich zur Richtschnur meines Lebens geworden ist.“

– Irmtrud Wojak:

Fritz Bauer 1903- 1968. C. H. Beck, München 2009. 638 Seiten, 34 Euro.

Hannes Schwenger

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