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Petersen

© dpa

Jens Petersen: Müssen und Wollen

Tagsüber Arzt, abends Schriftsteller: Eine Begegnung mit Bachmann-Preisträger Jens Petersen.

Als Jens Petersen am Sonntagmittag zum Sieger des Bachmann-Wettbewerbes gekürt wird, scheint es, als gehe ihn das gar nichts an. Ein Lächeln, das genauso als schüchtern wie als arrogant ausgelegt werden kann, mehr lässt Petersen nicht zu. Auch im Verlauf des Tages, da er den Radio- und Fernsehsendern seine Siegerinterviews geben muss, da er mit Juroren und Autorenkollegen beim Abschiedsessen im Seerestaurant Maria Loretto sitzt, da er abends den langen Weg vom Wörther See zurück in die Stadt allein und zu Fuß macht, dabei den Siegerblumenstrauß noch immer in der Hand, auch diesen ganzen Klagenfurter Sonntag über wirkt der zwei Meter große, blonde Jens Petersen in sich gekehrt.

„Ich bin so platt. Das dauert mit der Verarbeitung“, sagt er bei einem Gespräch am See. Doch dann sprudelt es aus ihm heraus: „Ich habe diesen Wettbewerb schon als Schüler angeschaut, unser Deutschlehrer hat uns die Texte zum Lesen gegeben. Für mich ist das ein Mythos. Hier zu gewinnen ist so wie für andere Jungs im WM-Finale das entscheidende Tor zu schießen. Ich habe nie damit gerechnet, dass ich hier überhaupt mal lesen dürfte.“ Normalerweise könne er mit Stress und emotionalen Situationen besser umgehen, fügt er an. Das hat weniger mit der norddeutschen Herkunft zu tun – Petersen wurde 1976 in Pinneberg bei Hamburg geboren –, sondern viel mehr mit seinem Beruf: Jens Petersen ist Arzt in der Neurologie. Er war erst in München tätig, wo er studierte, seit 2006 macht er seine Ausbildung zum Facharzt in der Universitätsklinik Zürich.

Das prägt den Charakter, sorgt aber vor allem immer wieder für Aufsehen. Von Döblin über Benn bis Tellkamp: ein Arzt, der schreibt! Diese Aufmerksamkeit muss mit dem nie matt werdenden Glanz dieses Berufes zu tun haben, gibt es doch auch haufenweise schriftstellernde Lehrer, Versicherungsangestellte, Juristen und Physiker. Petersen aber hat schon immer geschrieben, für ihn sei das eine „innere Notwendigkeit“. Und so ist sein Alltag klar strukturiert: Tagsüber arbeitet er in der Klinik, manchmal natürlich auch nachts, und abends, nach einer kurzen Ruhepause, sitzt er am Schreibtisch, zwei, drei Stunden lang. Dabei ist schon ein Buch entstanden. 2005 erschien „Die Haushälterin“, ein feiner, stilsicherer Adoleszenzroman, die Geschichte eines Vater und eines Sohnes, die sich nach dem Tod der Mutter in dieselbe Frau verlieben, die polnische Haushälterin Ada. Für „Die Haushälterin“ erhielt Petersen den „Aspekte“-Literaturpreis.

Insofern kam er nicht als Unbekannter oder Außenseiter nach Klagenfurt, um hier den Auszug aus einem neuen Roman zu lesen, der 2010 veröffentlicht werden soll. Darin erschießt ein Mann seine pflegebedürftige, todkranke Freundin, schafft es am Ende jedoch nicht, sich wie geplant selbst umzubringen. Es ist ein beklemmender, berührender Text, von Anfang an weiß man, worauf er hinausläuft. Detailliert beschreibt Petersen, wie sich sein Held Alex auf die Tat vorbereitet, wie er sich mit Nana auf einem Campingplatz befindet, irgendwo in Norddeutschland, später an einer zu einem Restaurant umfunktionierten Mühle. Wie er Morphiumspritzen aufzieht, seiner Freundin „Kaffeeschokolade“ in den Mund steckt und über andere Tötungsarten nachdenkt, einen Autounfall etwa. Oder eine Phenobarbitalgabe, „irgendwo in einer düsteren Wohnung in Zürich“.

Petersen arbeitet mit Kolportageelementen, was ihm seitens der Jury zunächst den Kitschvorwurf eintrug. Und er erzählt im Präsens, wie das viele seiner jungen Kollegen tun, um ganz nah heranzukommen, um ihre Geschichten schneller zu machen, um darüber hinwegzutäuschen, eigentlich nichts zu erzählen zu haben.

Doch beides fügt sich ineinander, wiewohl Petersen um die Gefahren wusste: „Es gab den Text auch in der Vergangenheitsform. Aber das Präsens, das Unmittelbare erschien mir der Thematik am angemessensten. Ich muss sagen: Beurteilen, ob es wirklich gut ist, kann ich das erst in ein paar Jahren. Wenn in der Jury jetzt der Tenor gewesen wäre, das sei überinstrumentiert, vielleicht hätte ich sogar zugestimmt.“ Als „Trial und Error“ bezeichnet Petersen sein Schreiben und bekennt, dass das Arbeiten als Arzt viel befriedigender sei (nicht so asozial, man habe unmittelbare Erfolgserlebnisse, „und wenn es nur ein Lächeln ist“). Trotzdem sagt er, dass ihm auch das nur für den Papierkorb geschriebene Befriedigung verschaffe.

„Wenn ich mehrere Tage nicht geschrieben habe, merke ich, wie ich die Symptome einer Depression entwickle“, bekennt Petersen. Dann drückt er einem seine Siegerurkunde in die Hand: „Könnten Sie die für mich mit ins Hotel nehmen?“ Er leiht sich ein Handtuch und wandert langsam zu einem der Stege des Wörthersees, um schwimmen zu gehen.

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