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Jurjews Klassiker: Weihnachtsgeister, kommt herbei!

Oleg Jurjew erinnert an den englische Humoristen Jerome K. Jerome.

Sie sind fast ausgestorben, die Weihnachtsgeister, jene Kreaturen, die in der heiligen Nacht erscheinen, von halb durchsichtig bis ganz weiß, unheimlich heulen, fürchterlich lachen und viel Schrecken einjagen. Kaum jemand hat für diese Spezies mehr getan als der englische Humorist Jerome K. Jerome (1859 – 1927), der noch vor dem Ersten Weltkrieg berühmt geworden war, in erster Linie aber durch sein 1889 erschienenes Buch „Drei Mann in einem Boot (ganz zu schweigen vom Hund)“ über eine im Prinzip belanglose Themse-Reise dreier gelangweilter Gentlemen und eines Foxterriers, des cleversten Wesens von allen vieren. Diese vollkommene Belanglosigkeit, die der Leser mit nie nachlassendem Interesse und sogar mit Rührung verfolgt, wurde zu einer Art Sinnbild für das viktorianische Zeitalter, dieser rückwärtsgewandten Utopie der Briten, die die Welt beinahe perfekt machten. Für sich selbst, versteht sich, für die Gentlemen und ihre Foxterrier. Aber – die Welt war noch nicht reif dafür und mochte nicht von den Gentlemen mit Foxterriern regiert werden.

Und was ist mit den Geistern, fragt der Leser, was ist mit den Geistern? Die Heilige Nacht naht, man will schließlich wissen, was mit den Geistern los ist. Jerome K. Jerome hat die Geister am Leben erhalten, indem er sie parodierte und auslachte. Das ist kein einmaliger Vorgang in der Weltliteratur. Cervantes zum Beispiel wollte mit seinem „Don Quijote“ das Rittertum durch den Kakao ziehen und setzte ihm doch ein Denkmal.

So auch Jerome mit seinem kleinen Buch „Told After Supper“ (1891), das ich als Kind unheimlich gern las. Das sowjetische Vorwort, mit der Bierernsthaftigkeit, die den sowjetischen Vor- und Nachworten nicht weniger zu eigen ist als dem deutschen Feuilleton, stimmte mich folgendermaßen ein: „Diese humoristische Erzählung, die die für England traditionelle Gattung der Weihnachtsgeschichte parodiert und die von der Geschichte sanktionierten ,heiligen Bräuche’ auslacht, wurde in der bürgerlichen Presse so scharf kritisiert, dass sie nach ihrer Ersterscheinung fast nie mehr veröffentlicht wurde“.

Das lief in der Sowjetunion überhaupt so: Über Kafka und Joyce erfuhr man zuerst aus den Artikeln in der Zeitschrift „Die Ausländische Literatur“, die den „reaktionären Modernismus“ unermüdlich als Propagandainstrument der Bourgeoisie entlarvte. Über die Jazz- und Rockmusik aus den höchst kritischen Beiträgen in Zeitung und Rundfunk, später im Fernsehen, und so weiter und so fort.

Nur durch Jerome Klapka Jerome (was für ein wunderbarer Zweitname, einem ungarischen General zu Ehren, den Jeromes Vater, ein Eisenwarenhändler und Prediger ohne Priesterweihe, bewunderte!) habe ich Weihnachtsgeister also kennen und schätzen gelernt. Besonders den liebenswürdigen nebligen Herrn, der zu seinen Lebzeiten unzählige Straßenmusiker und übungswütige Nachbarn außer Gefecht gesetzt hat und nun diesen Kampf mit deren Gespenstern fortsetzt, habe ich ins Herz geschlossen.

Straßenmusiker gab es in der UdSSR nicht (sie erschienen erst später im Straßenbild, nach dem Ende des real existierenden Sozialismus), unsere Nachbarn waren nicht übermäßig musikalisch. Aber als Kind, das jeden Tag selber ans Klavier musste, hasste ich die Musik und in erster Linie meine Klavierlehrerin genug, um Verständnis für den nebligen Gentleman aufzubringen.

„Kaum treffen sich fünf oder sechs englische Muttersprachler an Heiligabend um den Kamin, beginnen sie mit dem Erzählen diverser Gespenstergeschichten. An diesem fröhlichen Familienfeiertag sprechen wir gern von Gräbern, Leichen, Morden und vergossenem Blut“, schrieb Jerome, der wohl unbedeutendste aller bedeutenden Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Oder umgekehrt: der bedeutendste aller unbedeutenden. Ich bin mir sicher: Es sind nicht nur englische Muttersprachler, dies aber ganz bestimmt vor allem dank Klapka.

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