zum Hauptinhalt

Literatur: Kätzchen und Könige

Sich selbst auf den Grund kommen: drei neue Bücher über das Gehirn

Um ausnahmsweise bei Adam anzufangen: Ursprünglich war auch er eine Eva. Aber wenn in der achten Schwangerschaftswoche ein Testosteron-Tsunami über das Gehirn des Fötus schwappt, einen Teil der „Kommunikationszellen abtötet“ und dafür „in den Sex- und Aggressionszellen mehr Zellen heranwachsen lässt“, dann ist nichts mehr zu machen, dann wird aus dem ewig Weiblichen ein Kerl. „Bleibt die Testosteronwelle aus“, versichert die amerikanische Psychiaterin Louann Brizendine in ihrem Buch „Warum Frauen anders sind als Männer“, so „entwickelt sich das weibliche Gehirn ungestört weiter“. Männer sind also Störfälle auf Evas Entwicklungsweg, „die Geschlechts-Grundeinstellung der Natur“ ist weiblich. Adam tastet verlegen nach seiner Rippe.

Was beim Homo sapiens darüber entscheidet, welches fötale Gehirn testosteronisiert wird, versteht sich für Brizendine von selbst: Es liegt an „den Genen“, dieser Buchstabensuppe in den Zellen, aus der ein lieber Gott (glauben die Kreationisten) oder die Natur (hoffen die Pantheisten) oder die Evolution (denken die Darwinisten) das Drehbuch unseres Lebens zusammenrührt. Selbstverständlich halten wir alle uns für Hauptdarsteller in dessen Verfilmung, obwohl es nur selten nach unserem Kopf geht. Sogar wie dieser Kopf träumt, hängt nicht von ihm selber ab, sondern vom Stand der Technik. In seiner Antwort auf die Frage „Was ist der Mensch?“ erzählt der Philosoph Michael Pauen, dass in den fünfziger Jahren die Leute auf Fragebögen ankreuzten, sie würden schwarz-weiß träumen, während heute fast alle farbig zu träumen meinen. Mit den technischen Fertigkeiten des eigenen Fernsehgeräts hält man eben auch im Schlaf mit.

Offenbar ist unsere Selbstwahrnehmung genetisch codiert und kulturell gegängelt. Kein Wunder, dass sich Hirnforscher und Philosophen vor lauter Sorgen um die Willensfreiheit die Haare raufen, an eben denen sie sich aus dem Sumpf des Determinismus ziehen wollen. Der deutsche Zoologe Wolfgang Wieser schreibt in „Gehirn und Genom“ sogar ein „neues Drehbuch für die Evolution“. Immerhin bringt die Evolution in Gestalt des Menschen auch die Voraussetzungen für die Befreiung von der Evolution hervor. Andererseits kann man natürlich fragen, ob für die Evolution der Theorie der Evolution womöglich ähnliche Regeln gelten wie für die Evolution selbst.

Die Bücher von Brizendine, Pauen und Wieser sind Beispiele für die konjunkturelle Artenvielfalt des Neuro-Denkens. Brizendine tritt als Biografin des individuellen weiblichen Gehirns auf, Wieser als Historiker des Gehirns der menschlichen Gattung. Die Epochen der einen zählen nach Jahren und Jahrzehnten, die des anderen nach Jahrmillionen. Pauen wiederum setzt auseinander, warum naturwissenschaftliche Erkenntnisse weder auf der Ebene des individuellen Phänotyps noch auf der des gattungsbestimmten Genotyps unser gewohntes Selbstbild beschädigen: „Die Annahme eines prinzipiellen Gegensatzes von Naturalismus und Menschenbild ist einfach falsch.“ So lautet sein Mantra. Und dieses Mantra wiederholt er mit ermüdender Ausdauer. „Das Missverständnis besteht in der Annahme eines prinzipiellen Konflikts zwischen unserem Menschenbild auf der einen Seite und naturalistischen Erklärungen auf der anderen.“

Es gibt aber noch mehr Missverständnisse. Brizendine etwa tut so, als würden die „bildgebenden Verfahren“ es ermöglichen, „das Gehirn in Echtzeit zu beobachten, während es Probleme löst.“ In Wirklichkeit, erklärt Pauen, „werden bei der funktionalen Magnetresonanztomographie Unterschiede in den magnetischen Eigenschaften des Blutes gemessen, die auftreten, wenn man die Testaufgabe mit einer neutralen Kontrollsituation vergleicht. Grundlage ist die Tatsache, dass neuronale Aktivität mit einer gewissen Verzögerung zu einer Sauerstoffanreicherung des Blutes in dem betreffenden Areal führt. Damit verbunden ist eine Veränderung der magnetischen Eigenschaften des Blutes, und man kann einen Vergleich anstellen zwischen dem Sauerstoffgehalt des Blutes im Normalzustand und bei einer Testaufgabe.“ Von wegen: „das Gehirn in Echtzeit beobachten“.

Brizendines Buch unterschätzt überhaupt die Komplexität der Vorgänge. Über die hormonelle Umstellung beim Eisprung heißt es, dass „die Eierstöcke Progesteron ausschütten, das die Düngerwirkung des Östrogens aufhebt. Progesteron wirkt eher wie ein Unkrautvernichtungsmittel auf die neu gewachsenen Verbindungen im Hippocampus.“ Jetzt haben wir gelacht, verstanden haben wir nicht. Dafür ist Brizendine nie um Ratschläge verlegen: „Eltern von Teenagern sollten das meiste, was ihre Kinder sagen, einfach übergehen. Denken Sie daran, dass die Impulssteuerungs-Schaltkreise Ihrer Tochter die ankommenden Informationen nicht verarbeiten können.“ Wenn sich die Tochter wieder einmal beschwert: „Mami, du hörst überhaupt nicht zu!“, bräuchte die Mutter nur zu antworten: „Aber Liebes, deine Impulssteuerungs-Schaltkreise können Informationen sowieso nicht verarbeiten.“

Diese Antwort ist freilich nur sinnvoll, wenn man hoffen kann, dass sie verstanden und verarbeitet wird. Dann allerdings wäre sie sachlich falsch. Wenn sie jedoch zutrifft, wäre sie nicht sinnvoll. Dilemmatische und paradoxale Herausforderungen bringt nicht nur das weibliche Gehirn in der Pubertät mit sich, sondern das Gehirn ganz allgemein, das sich sozusagen selbst erkennen will. Der geschichtliche Prozess, in dem das stattfindet, ist die Fortsetzung der biologischen Evolution mit kulturellen Mitteln – sagt Wieser. Dabei kommt es ihm auf die strukturelle Verwandtschaft zwischen kultureller Entwicklung und biologischer Evolution an. Wenn es diese Verwandtschaft gibt, könnte das Gehirn als Schauplatz beschrieben werden, an dem das genetisch Gegebene mit dem neurologisch Erlernten auf eine Weise zusammentrifft, die den Abgrund zwischen Natur und Kultur als verständliches Missverständnis zum Verschwinden bringt.

Pauen indessen sieht die Sache philosophisch. Er holt Auskünfte bei den Großen seines Fachs ein, von Descartes und Leibniz und Kant, weist Kategorien Fehler nach und Argumenten Ebenenverwechslung. Das geschieht stets mit guten Gründen und so ausdauernd, dass wir irgendwann, und sei es aus Erschöpfung, zu dem freien Entschluss kommen, uns deterministisch nicht mehr beunruhigen zu lassen. Während Pauen trotz seines männlichen Gehirns gut zuhört, kann Brizendine trotz ihres weiblichen gut einparken. Im Handumdrehen steuert sie ihre Begriffe in unsere Wissenslücken. Da stehen sie dann und rühren sich nicht mehr. Auf der von ihr zusammengestellten hormonellen Überblickstafel herrscht eine derart akkurate Ordnung zwischen Östrogen („die Königin“), Progesteron („die machtvolle Schwester“) und Oxytocin („das schnurrende Kätzchen“) und den jeweils zugeordneten Lebensphasen, dass einem angst und bange wird. Man sollte daran denken, dass auch Lesen im Leben der Synapsen Folgen hat, die sich unserer Kenntnis entziehen.

Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007. 359 Seiten, 19,95 €.

Michael Pauen: Was ist der Mensch? Die Entdeckung der Natur des Geistes. DVA, München 2007. 269 Seiten, 19,95 €.

Wolfgang Wieser: Gehirn und Genom. Ein neues Drehbuch für die Evolution. Beck, München 2007. 285 Seiten, 22,90 €.

Bruno Preisendörfer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false