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Klupp-Roman "Paradiso": Lügen lernen

Knietief in Weiden: Thomas Klupps furioser Debütroman "Paradiso“. Der junge Schriftsteller macht auf jenen geheimnisvollen, ja beinah magischen sozialen Mechanismus aufmerksam , der all unsere Beziehungen erst ermöglicht: Vertrauen.

In mir selbst gibt es ohne menschliche Beziehung keine sichtbaren Lügen“, notierte Kafka einmal. „Der begrenzte Kreis ist rein.“ Mit etwas gutem Willen ließe sich das auch von Alex Böhm sagen. Schließlich weiß der Drehbuchstudent selbst genau, dass er ein Blender ist und „mit seinen Sachen nach Strich und Faden“ gescheitert – nur eben seine Umwelt nicht.

Die beschwindelt der Icherzähler von „Paradiso“, Thomas Klupps furiosem Debütroman, fast schon zwanghaft: „Irgendwann rastet ein Mechanismus ein, ich sage lauter Dinge, die ich überhaupt nicht so meine, und wenn ich mich erst einmal um Kopf und Kragen geredet habe, gibt es kein Zurück.“ Hier schummelt sich einer als Baron Münchhausen im Rucksackformat lockerflockig durchs Leben, auch wenn er sich selbst und dem Leser treuherzig Besserung gelobt. Warum auch nicht, trug ihn doch bislang neben der väterlichen Kreditkarte eine Welle der Gutgläubigkeit zuverlässig über alle Schwierigkeiten hinweg. Auf diese Weise, nämlich mit einem von einem Klassenkameraden geklauten Kurzfilm, hat er es zu seinem Studienplatz an der Potsdamer Filmhochschule gebracht. Und zu seiner tollen Freundin Johanna, die „im Grunde noch viel idealer“ als seine letzte ist, die Leni, die halt doch etwas moppelig war – und die Alex der Einfachheit halber in dem Glauben gelassen hat, er wolle nur eine Beziehungspause.

Mit Johanna will Alex nun für zwei Wochen nach Portugal fliegen. An dem Tag, der ihn per Anhalter von Potsdam zum Münchner Flughafen bringen soll, wo die Freundin wartet, geht jedoch einiges schief. Was auch daran liegt, dass der Gewohnheitsbluffer längst die Kontrolle über sein in alle Richtungen wucherndes Lügengespinst verloren hat. Die frustrierende Begegnung mit einem alten Schulfreund auf einer Potsdamer Autobahnraststätte, der ihn in seinem Audi TT nebst dazu passender Blondine Richtung Süden mitnimmt, meistert Alex noch: mit einem angeblich verkauften Drehbuch, das mit Daniel Brühl und einem Millionenbudget verfilmt werden soll.

Aber dann landet er erst mal im oberpfälzischen Weiden, seiner Heimatstadt. Diese erweist sich als ein einziges Minenfeld, und atemlos folgt man Alex’ ungewolltem Trip in die Vergangenheit, den Klupp konsequent eskalieren lässt. Trifft Alex doch bei einer Party am Baggersee „Paradiso“ nicht nur seine Ex wieder, sondern auch seinen „treuesten und besten Freund“ Simon – der einzige Mensch, der ihn durchschaut hat.

Die Vorbilder dieser bitterbösen, herrlich ironischen Mischung aus spätadoleszentem Egozentrismus und Pseudoweltschmerz, sind leicht zu benennen: vor allem Salingers „Der Fänger im Roggen“ und Christian Krachts „Faserland“. Der Held dieses erstaunlichen Roadmovies ist schwerer einzuordnen: Ist er ein böser Mensch? Oder nicht doch recht sympathisch? Denn mit seiner Angst, sozial „vor die Hunde zu gehen“, seiner Konfliktscheue und Gefallsucht wirkt er eher allzu menschlich. Nicht nur, dass wohl jeder solche Schaumschläger kennt. Wer nur ehrlich genug zu sich selbst ist, muss zugeben: Ein bisschen Alex Böhm steckt in allen von uns. „Im Jetzt möchte ich immer ein möglichst großes Maß an Übereinstimmung herstellen zwischen mir und meinen Mitmenschen. Aus Gründen der Harmonie vermutlich. Da bin ich wie alle anderen, keine Frage.“

Zu den vielen Stärken dieses Romans von Thomas Klupp, der Jahrgang 1977 und Absolvent der Hildesheimer Dichterschmiede ist, gehört freilich auch, dass die Abgründe und das Gewaltpotenzial, die sich in solch einem vermeintlich harmlos-alltäglichen Typen verbergen, erst allmählich sichtbar werden. Mit seiner scheinbaren Offenherzigkeit und zur Schau gestellten Reue bekommt Alex den Leser beinahe ebenso rum wie die treuherzige Leni am Baggersee – da vergisst man schon mal leicht, dass er naturgemäß ein unzuverlässiger Erzähler ist.

Seine Aktualität bezieht Klupps Roman jedoch nicht allein aus dem Umstand, dass er von einer sehr gegenwärtigen Figur handelt. Sondern auch daraus, dass er auf jenen geheimnisvollen, ja beinah magischen sozialen Mechanismus aufmerksam macht, der all unsere Gespräche, unsere Beziehungen überhaupt erst ermöglicht. Und der heutzutage ein so knappes Gut geworden ist: Vertrauen. Schließlich kann selbst Alex Böhm seine ständige Begleiterin, die Paranoia, sein Gegenüber könnte ihm längst auf die Schliche gekommen sein, nur durch „Gottvertrauen“ überwinden: „Es wird schon alles gut gehen.“ Wie sich zeigt, wird es das nicht.

Thomas Klupp: Paradiso. Roman. Berlin-Verlag, Berlin 2009. 199 Seiten, 18 €.

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